iX 5/2018
S. 70
Report
Standardsoftware
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ERP zwischen Tradition und Moderne

Aufbruch

Big Data, Blockchain, Cloud, IoT und Machine Learning mischen das altbackene Enterprise Resource Planning auf. Dabei stoßen die kaufmännischen Systeme schnell an ihre Grenzen.

So könnte eine Geschäftsreise in Zukunft aussehen: Während des Flugs von New York nach Oslo merkt eine App auf dem Smartphone, dass der Passagier wegen einer Verspätung ein Frühstück beim Zwischenstopp in Frankfurt einnehmen sollte. Selbstständig leitet sie die notwendigen Schritte ein: Sie reserviert einen Platz im Café mit der bevorzugten Kaffeemarke, bucht die Reise um, bestellt einen autonomen Fahrdienst und datiert den Termin für das Treffen mit dem Kollegen in Oslo neu. Die Geschäftsanwendungen aller beteiligten Partner (Transportunternehmen, Restaurant und so weiter) werden gleichzeitig über die Änderungen informiert, um etwa den Zahlungsverkehr zu aktualisieren.

Das Szenario mag noch ein wenig futuristisch klingen. Für den Analysten Christian Hestermann von Gartner veranschaulicht es jedoch eine Kerneigenschaft der digitalen Ökonomie: „Geräte werden künftig ökonomische Akteure, treffen eigenständig Kaufentscheidungen und werden damit die Hauptkonsumenten von Marketing und Werbung.“ Diese neue Welt, in der sich Menschen, Unternehmen und Dinge munter austauschen, verlangt ein radikales Umdenken auf fast allen Ebenen der Geschäftsmodelle und -prozesse. Auf menschliche Rezipienten zugeschnittenes Marketing dürfte beispielsweise kaum dazu geeignet sein, eine App zum selbstständigen Einkauf zu bewegen.

Wenn sich Geschäftsmodelle ändern, muss sich das in den betriebswirtschaftlichen Anwendungen niederschlagen. Zu deren technischer Ausstattung soll künftig alles zählen, was gerade angesagt ist: Analytics, Big Data, Blockchain, Cloud, Internet der Dinge (IoT) und Machine Learning. Ob und wieweit Systeme für das Enterprise Resource Planning (ERP), die wie ein digitaler Schatten die Abläufe eines Unternehmens widerspiegeln, die neuen Techniken absorbieren können, ist allerdings offen.

„ERP bleibt auch in Zeiten der vielbeschworenen digitalen Transformation unverzichtbar, um zuverlässige und konsistente Backend-Prozesse abzuwickeln“, ist Frank Niemann überzeugt. Der Analyst von PAC Germany sieht das ERP-System aber künftig nicht mehr als zentrale Anwendung in der Unternehmens-IT, sondern als Teil einer umfassenderen Umgebung, deren Komponenten über eine Plattform verbunden sind. Starre und unflexible Systeme dürften jedenfalls vom Markt verschwinden. „Wer seine Kunden bei der schnellen und kostengünstigen Abbildung der volatilen Geschäftsprozess- und Integrationsanforderungen nicht unterstützen kann, verliert seine Existenzberechtigung“, heißt es in einem Positionspapier des Bitkom (ix.de/ix1805070) Diese Aussagen sprechen für einen grundlegenden Wandel in der Welt der ERP-Anwendungen. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass dies nicht zum ersten Mal geschieht.

ERP hat eine lange Geschichte

Den Begriff „Enterprise Resource Planning“ hat vor über zwanzig Jahren die US-amerikanische Marktforschungsfirma Gartner geprägt. Sie beschrieb damit Anwendungen, die betriebswirtschaftliche Standardfunktionen wie Hauptbuch und Gehaltsabrechnung mit Programmen für die Produktionsplanung und -steuerung zusammenbrachten. Eng verbunden damit war die Einführung der Client-Server-Architektur sowie eine weitgehende Hardwareunabhängigkeit durch Unix als Betriebssystem.

Typisch war die Sicht allein auf unternehmensinterne Abläufe. Erst die schnell wachsende Firma Siebel bewies Anfang des Jahrtausends mit ihrer CRM-Anwendung, dass man auch außerhalb des klassischen ERP mit Unternehmenssoftware Geld verdienen kann.

Die Konkurrenz entwickelte daraufhin eigene Alternativen oder kaufte Spezialprogramme hinzu. Zugleich revidierte sie wegen der wachsenden Akzeptanz des Internets die strikt nach innen gerichtete Ausrichtung der Architektur. Beim Adaptieren neuer Funktionen waren die ERP-Hersteller recht erfolgreich. Das Bestreben, ihre Suiten als Plattform für andere Angebote zu etablieren, ging indes weniger auf, Best-of-Breed-Ansätze blieben Randerscheinungen. Zumal die notwendigen Integrationsarbeiten den Anwendern beträchtliche Kosten aufhalsten.

Beim Schnelldurchlauf durch die Historie soll nicht unter den Tisch fallen, dass der Umbau der ERP-Architektur in Richtung Internet die Hersteller kräftig beutelte. So mancher verlor darüber seine Unabhängigkeit und wurde von einem Konkurrenten geschluckt. Dem Angebot hat die Konsolidierung indes nicht geschadet, wie ein Blick in Trovarits Marktspiegel über Business-Software verrät (ix.de/ix1805070). Nach wie vor lässt sich der ERP-Markt grob in drei Kategorien einteilen (multinationale Konzerne, größere Mittelständler und kleinere Firmen), in denen sich eine dreistellige Anzahl an Mitspielern tummelt. Insbesondere die Angebote im mittleren Segment sind häufig durch eine Branchenausrichtung geprägt, die den Einführungsaufwand minimieren soll.