iX 5/2018
S. 3
Editorial
Mai 2018

Flaggenfrage

Azurblau strahlt der Himmel über dem Meer, begierig blähen sich die Segel der Yachten, ihre Flaggen tragen stolz die Namen ihrer Sponsoren zur Schau. So bunt die Logos, so vielfältig das Feld: Apples schneidiger Silberpfeil, Nokias scheinbar unverwüstliches Gummiboot, Amazons tuckernder Dampfschlepper, IBMs Anzugträger kontrastieren mit Googles Nerds, Oracle sonnt sich auf dem Katamaran – und selbstverständlich tritt das gute alte Microsoft an. Sicher, das Flaggschiff des Konzerns hat schon einige Wetter überstanden, wirkt geradezu klassisch, aber bisher kam der Veteran Windows noch immer als einer der ersten ins Ziel.

Der Preis ist der jedes Jahrzehnt aufs neue verliehene Business Cup und vom Start weg fliegt Windows allen davon – die Erfahrung zahlt sich aus, die Stammkunden jubeln. Doch da zieht eine Wolkenfront auf, erst zögerlich im äußersten Westen, dann grollend, drohend fegt sie über das Meer. Amazons anfangs belächelter Dampfer setzt sich, dem alles hinwegfegenden Unwetter trotzend, in Führung. Apple entscheidet sich galant gegen die Situation, das Rennen behagt nicht. Und Microsoft? Windows wankt, leckt, kann sich kaum noch über Wasser halten.

Noch schlimmer steht es um Nokia, das Boot sinkt, die Mannschaft schreit um Hilfe. Nicht ganz selbstlos nimmt sie der Windows-Kapitän auf, verspricht sich mehr Hände für seine Masten. Das achte Starrsegel und den mobilen Vormast lässt er setzen, doch es ist zu viel, der Sturm lässt die Balken splittern und hilflos treibt das alte Flaggschiff im wühlenden Wasser. Sein letztes Rennen verloren, geht der Kapitän gebrochen von Bord.

Doch sein Nachfolger zeigt sich den Wolken gewachsen: Er ersetzt die Mannschaft und organisiert das Schiff neu, denn jetzt ist es auf einmal schlank, nutzt jede Brise in seinen plötzlich flexiblen Segeln aus. Die Aufholjagd kann beginnen. Kaum wiederzuerkennen, die Yacht, und einen neuen Namen hat sie auch: Cloud First.

So zumindest die Geschichte der Regatta, die Microsoft den verwunderten Beobachtern am Ziel stolz erzählt: Die Wolkenfront, damit konnte nun wirklich keiner rechnen, aber schaut her, so meistert ein Schiff solche Zeiten. Unser neuer Kapitän hat Windows als Segel ausgemustert und sie durch einen Traum aus Glasfaser ersetzt.1

Worauf keiner geachtet hat: Für Microsoft trat am Start heimlich ein zweites Schiff an, mit allerhand experimentellen Techniken und jungen Händen ausgestattet. Nur um die Wasser zu testen, denn man weiß: Sie sind trügerisch. Und das macht jeder so, am Grund finden Taucher immer wieder leckgeschlagene Versuchsboote, für die Amazon und Google partout nicht mehr die Verantwortung übernehmen wollen. Wenn etwas funktioniert, übernimmt man es, und wenn nicht, vermisst die Mannschaft schließlich keiner.

Microsofts Trick bestand darin, im richtigen Moment die Flagge des alten Schiffes zu streichen und sie auf dem neuen zu setzen. Und so ganz unerwartet kam das Ende nicht: Windows wollte es einfach noch einmal wissen, und hätte es der alte Kapitän mit seinem Plan ins Ziel geschafft, so hätten alle ob seiner Voraussicht gejubelt und seine feste Hand im Sturm als die eines erfahrenen, alten Meisters seines Fachs bestaunt.

Noch liegt Amazon vorne, frenetisch Kohlen in den Kessel schaufelnd. Doch Cloud First holt auf. Nun sind die Wolken fester Teil der Regatta, wer sie am besten für sich ausnutzt, gewinnt. Zumindest diesen Business Cup.

MORITZ FÖRSTER

1 Microsoft hat jüngst einen grundlegenden Konzernumbau angekündigt – siehe auch S. 12 und 29.

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