iX 11/2019
S. 3
Editorial
November 2019

Vertrauen als Wettbewerbsvorteil?

Margrethe Vestager ist die oberste Wettbewerbshüterin der Europäischen Union. Seit ihrem Amtsantritt 2014 hat die dänische Pfarrers­tochter trotz eines liberalen politischen Hintergrundes aufsehenerregende Entscheidungen gefällt. Sie durchkreuzte die Pläne von Günther Oettinger, großen TK-Unternehmen die Fusion zu vereinfachen, warf Google Machtmissbrauch vor und legte sich mit Gazprom, Mastercard und der Autoindustrie an. Als „Googles schlimmster Alptraum“ (Time Magazine) verhängte sie die Rekord­strafe von über 4 Milliarden Euro. Apple, Starbucks und Irland kämpfen immer noch gegen ihre Anweisung, alle EU-Länder mögen doch gerechtere und realistische Steuerpraktiken einhalten. Apple würde das 13 Milliarden aus Steuernachzahlungen kosten, Irland will das Geld aber gar nicht.

Vestager hat einen guten Ruf, die Zeit bezeichnet sie als „eine, die kämpft“, sie ist wohl die beliebteste und bekannteste EU-Kommissarin. Auch ihre Chefin Ursula von der Leyen hat das erkannt und sie sicher auch deshalb zur „Superkommissarin“ und „exekutiven Vizepräsidentin“ ernannt, Themenbereich Wett­bewerb und (neu!) digitale Agenda. Weil der Deutschen Big Data, „Cybersicherheit“ und „digitale Souveränität“ sehr am Herzen liegen, soll die Dänin ein Konzept entwickeln, wie Europa hier aufholen kann.

Es gehört sich, dass alle Parteien eine neue Superkommissarin für Digitales erst mal ordentlich unter die Lupe nehmen. Vestager hat sich in dieser dreistündigen Runde wohl ganz gut ­geschlagen. Sie plädiert für europäische Wege, ethische Richtlinien und Regulierung, will Grundrechte weiter stärken und gerade Hightech-Riesen kartellrechtlich schärfer überwachen. Die ePrivacy-Verordnung und die DSGVO sieht sie durchweg positiv, für das ­Thema KI verlangt sie eine europäische Alternative zu den Bestrebungen aus den USA und China.

Da scheint es naheliegend, dass gerade die Person, die vermutlich derzeit das größte politische Vertrauen genießt, ­davon spricht, ebendieses Vertrauen zum Markenkern einer europäischen KI-Strategie zu machen. Man solle nicht resignieren, weil die USA das ganze Geld und die Chinesen die ganzen Daten haben, meint Vestager. Auch Europa habe viele Daten, etwa in der Landwirtschaft, aus Galileo und Copernicus, und die europäischen Supercomputer seien ebenfalls Weltklasse. Vestager wirbt dafür, dass sich Europa durch „Trust by Design“ differenziert, näher am Kunden, mit Vertrauen, analog zum „Privacy by Design“ der DSGVO – einem Erfolgsmodell.

Das klingt zunächst gut, doch frage ich mich, ob das auch einer tieferen technisch-wissenschaftlichen Betrachtung standhält. Vestager möchte Europa mit „ethischen Richtlinien zum Weltmarktführer“ machen. Alleine diese Ethik aufzustellen, wäre ein großer Wurf, aber wie sich eine KI made in Europe, die sich an diese Regeln hält, gegenüber „unbefangeneren“ KIs auf dem Markt schlägt, bleibt fraglich. Ich bin gespannt, wie „Trust by Design“ in der Praxis aussehen soll – es muss am Ende ja den Kunden überzeugen.

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