iX 10/2020
S. 3
Editorial
Oktober 2020

NVIDIA braucht keinen Mac

Nach dem Kauf des Chipdesigners ARM spekuliert die Tech-Welt, was NVIDIA mit der über 40 Milliarden US-Dollar schweren Übernahme vorhat. Heimanwendern ist NVIDIA vor allem als Hersteller von Spielegrafikkarten vertraut und Profis insbesondere als Entwickler von Beschleunigungskarten für CAD- und KI-Anwendungen. ARM, zuvor im Besitz von SoftBank, scheint da nicht so recht ins Portfolio zu passen. Denn während der GPU-Riese für seine proprietären Treiber bekannt ist und sich auch sonst nur ungern in die Karten gucken lässt, vertreibt ARM seine vielfältigen CPU-Designs ganz offen auf dem freien Markt an Kunden unterschiedlichster Couleur.

Erste Gedanken gingen natürlich in Richtung Apple, denn immerhin sollen Macs schon bald auf ARM umsteigen. Doch das stimmt nicht hundertprozentig, denn die Rechner sollen dieselbe Plattform wie das iPhone und das iPad verwenden: Apple Silicon. Aber halt, erhält der Hersteller die Designs nicht von ARM, entwickelt sich nicht hier die perfekte Gelegenheit für zasternde Lizenzen? Nicht ganz, denn Apple bezieht vielmehr Lizenzen für den Befehlssatz der Archi­tektur, das Design stammt hingegen aus eigenem Haus – wie auch das von NVIDIAs Tegra SoCs übrigens.

Hier fällt auch die zweite Spekulation weg: NVIDIA bietet schon lange ARM-Chips mit der hauseigenen Grafik an. Ob die für den Befehlssatz notwendigen Lizenzen selbst auf lange Sicht ­einen solchen Kaufpreis rechtfertigen sollen, sodass sich das Unternehmen diese künftig sparen könnte, ist mehr als fraglich. Und kräftig an den Daumenschrauben drehen ist nicht: Denn Apple ist schließlich nicht der einzige Kunde, auch Samsung, Qualcomm, Fujitsu und Cavium entwickeln eigene Chips und beziehen die Lizenzen für den Befehlssatz.

Letztere kosten bereits mehr als das Design eines ARM-Prozessors fürs Smartphone. NVIDIA wird kaum alle wichtigen Kunden auf einmal verärgern wollen – und kündigte nur einen Tag nach den ersten Berichten seine neutralen Lizenzierungsabsichten an.

Jedoch bleibt der Blick auf den Client in der IT-Blase des PC-Enthusiasten stecken. ARM ist für NVIDIA aus zwei Gründen verlockend: Rechenzentren und die Industrie. Erstere interessieren sich schon lange für die ARM-Architektur, denn von Chips mit kräftig HPC-Leistung bis hin zu Servern mit massig Kernen für die Virtualisierung bietet das ARM-Portfolio für fast jede Anforderung eine Antwort fürs Rack. Cloud-Riesen wie AWS sind bereits von Experimenten auf den Produktiveinsatz umgestiegen und locken Kunden mit einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis gegenüber x86.

Und an der Edge und im Fog bleibt die Energieeffizienz vieler ARM-CPUs ein unschlagbarer Vorteil. Kein Beobachter braucht eine Hype-Kristallkugel, um vorauszusagen, dass die Flut der digitalisierten Geräte, und somit auch die der zu verarbeitenden Daten, in den nächsten Jahren weiter massiv zulegen wird. Und von genau dieser unüberblickbaren Masse an Geräten profitiert von nun an NVIDIA – und nicht vom Umstieg einer einzigen Clientplattform, selbst wenn sie der höchstdotierten Firma der Welt gehört.

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