iX 11/2020
S. 3
Editorial
November 2020

Frei und offen regulieren

Selbst außerhalb der IT-Welt weiß es jeder: Tech-Konzerne sind Monopolisten, reißen zu viel Macht an sich und diese gehört nun endlich reguliert. Eine wahre, wenn auch eine uralte Einsicht.

Schließlich strebten Unternehmen in der freien Wirtschaft schon immer nach Expansion bis zur völligen Überlegenheit. Gleichfalls setzte sich schon vor langer Zeit die Überzeugung durch, dass ausschließlich der Staat überbordende Gier eindämmen und einen freien Markt erst garantieren kann. Und tatsächlich bewies das noch junge 20. Jahrhundert unter dem griffigen Begriff Trust Busting diesen Mut zur Regulierung.

In den dunklen Zeiten vor der digitalen Gesellschaft mag dies gereicht haben, denn am Ende galt es bloß, Absprachen hinter geschlossenen Türen aufzu­decken, das Aufkaufen aller ernst zu nehmenden Konkurrenten zu unterbinden oder die völlige Abhängigkeit des Konsumenten von einem Anbieter abzuwenden. Letzteres probierten ohnehin nur wenige Hersteller, und erst recht ließen sich die Verbraucher nicht auf solche Spiele ein – denn so ein geschlossenes System fällt arg auf und bietet ihnen keine Vorteile.

Versuche gab es selbstverständlich, zum Beispiel als die noch jungen Filmstudios ihre eigenen Kinos besaßen und dem Publikum ausschließlich ihre Filme zu ihnen genehmen Konditionen präsentierten. 1948 verboten die USA in einem Urteil gegen Paramount diese Praxis der absoluten vertikalen Integration – und das nicht zum Nachteil des eigentlichen Mediums, denn in den Jahrzehnten danach blühte das Kinoprogramm regelrecht auf.

Warum also lassen sich Nutzer heute in den völlig abgeschotteten Spielplatz einsperren? Weil es sich nicht um eine offene und freie Infrastruktur handelt, dank der sie sich gegen solche Praktiken wehren könnten. Vielmehr stellen die Anbieter all dies selbst bereit.

WhatsApp zum Beispiel ist der beliebteste Messenger hierzulande, doch liegt das weniger an seinen tollen Funktionen, sondern einfach an der Eigen­dynamik, zur rechten Zeit das Richtige angeboten zu haben. Also muss man es verwenden oder isoliert sich sozial. Nun sollen Messenger künftig kompatibel untereinander sein, und das wäre der richtige Schritt, statt Facebook einfach zum Abspalten bestimmter Geschäfts­bereiche zu zwingen.

Aber es wäre nur ein positives Beispiel in einem Ozean aus geschlossenen Sys­temen. Stattdessen sind Standards für Schnittstellen nötig, die alle in der EU tätigen Anbieter einzuhalten haben und die dem Kunden eine freie Wahl garantieren. Auf ihrer Basis müssen IT-Systeme völlig unabhängig vom Anbieter mitei­nander Daten austauschen können – und technisch ist dies keine Hürde, es fehlt allein am Willen. Dabei reicht es auch, wenn der in IT-Fragen meist notorisch langsame Staat die Vorgaben macht und die Standardsetzung den Experten überlässt. Diverse Modelle aus dem Forschungsbereich oder dem Open-Source-Umfeld – die Erfolge des W3C oder IEEE sprechen für sich – haben ihre Stärken längst bewiesen.

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