iX 4/2020
S. 3
Editorial
April 2020

Falscher Schulterklopfer

Hier ist der Beweis, wir tun was für unseren Planeten: Die Effizienz von Rechenzentren ist seit 2010 deutlich gestiegen – und in Deutschland sank der Stromverbrauch 2019 sogar um zwei Prozent. Beide Studien belegen endgültig, dass ausschließlich eine digitale Zukunft eine umweltgerechte Zukunft ist, wie diverse Politiker, IT-Manager und Lobby-Vordenker uns schließlich schon seit Jahren vorbeten. Zeit für noch mehr Investitionen, weg mit dem Wald.

Das ganze Gejubel ist natürlich Quatsch. Die Effizienz der einzelnen IT-Komponenten mag sich laut der ersten Studie (siehe S. 12) deutlich verbessern, doch der Leistungsbedarf der Nutzer steigt gleichzeitig massiv an. Kein Wunder bei der zunehmenden Digitalisierung. So betonen die Autoren im selben Atemzug, dass der Stromverbrauch von Rechenzentren seit 2010 nur um sechs Prozent gestiegen sei. Dumm nur, dass er schon damals zu hoch war und erneuerbare Energien nicht einmal ansatzweise diesen Bedarf decken können.

Aber stopp, ist der Gesamtverbrauch in Deutschland 2019 nicht sogar leicht gesunken? Ja, aber nicht in der IT. Stattdessen nutzt die herkömmliche Industrie schon lange die Gunst der globalen Stunde und verlegt ihre hierzulande inzwischen ungern gesehene Produktion zunehmend ins unkritische Ausland. Aber das bringt dem Planeten wenig. Letztes Jahr kam außerdem eine sich abschwächende Konjunktur hinzu – ein Faktor, der nur wenige Bundesbürger freuen dürfte.

Bei der bejubelten Effizienz der IT handelt es sich einzig um eine Nebelkerze, die vom generellen Problem ablenkt: Der Stromverbrauch steigt trotzdem und ist seit Ewigkeiten zu hoch. Es sollte nicht interessieren, wie gut, sondern wie viel Strom wir ver­brennen. Und genau hier ist die IT gefragt. Frei nach dem Parkinson-­Gesetz, dass sich die Arbeit der verfügbaren Zeit anpasst: Wenn wir die Leistung unserer Systeme erhöhen, werden sie die Nutzer abfragen. Dabei ist es egal, wie sinnvoll Tausende Zwischenebenen beim Systemdesign und lokale Webapplikationen auf dem Desktop sind. Die Cloud, der Server oder der Laptop geben es her, es wird ausgenutzt.

Zweitens geht es bei der Effizienz der IT ausschließlich um den Betrieb. Doch betrachtet man den gesamten Energieverbrauch, siehts noch einmal ganz anders aus. Die Produktion – in der IT selbstverständlich ebenfalls ausge­lagert – verschlingt nicht nur Strom, der ja zumindest theoretisch aus erneuerbaren Quellen stammen könnte, sondern ebenfalls Unmengen Rohstoffe. Und hierzu zählen nicht nur seltene Erden, sondern auch Plastik, Stahl, Kupfer und Aluminium. Hierfür kommen genauso fossile Brennstoffe zum Einsatz wie für einen weiteren entscheidenden Faktor: Hitze. Ohne sie steht die Produktion still und auch hier gibt es für Kohle und Gas keinen wirtschaftlichen Ersatz.

Schluss mit der Effizienz. Wer es mit unserem Planeten ernst meint, sollte zumindest über den Stromverbrauch, aber noch besser den gesamten Energiebedarf der IT reden. Jeder Systemverwalter, Entwickler und Nutzer kann dabei helfen, dass beides sinkt: indem er sich Gedanken darüber macht, ob weniger für den Einzelnen am Ende nicht doch ein Mehr für uns alle bedeutet.

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