iX 4/2020
S. 36
Markt + Trends
IT-Recht & Datenschutz

Rechtliche Aspekte der Corona-Krise

Epidemisch

Tobias Haar

Die Corona-Epidemie hat auch die IT-Industrie kalt erwischt. Infektionsgefahren führen zu Unsicherheiten, Liefer- und Mitarbeiterausfälle zu Schäden. Juristisch stellen sich neue Fragen.

Die Corona-Krise erinnert alle Unternehmensleiter plötzlich und eindringlich daran, dass sie als Arbeitgeber für ihre Arbeitnehmer eine Fürsorgepflicht haben. Was bedeutet dies aber im Detail? Arbeitgeber trifft die Pflicht zur Aufklärung über die Risiken einer Infektion am Arbeitsplatz und sie müssen auf Hygienevorschriften und Verhaltensempfehlungen hinweisen. Hierzu zählt auch das Bereitstellen von Hygieneprodukten wie Desinfektionsmitteln und in besonders gefährdeten Bereichen auch einmal von Schutzmasken sowie Schutzkleidung.

Bei Dienstreisen gilt es abzuwägen: Reisen in Gebiete, für die offizielle Reisewarnungen ausgesprochen wurden, darf ein Arbeitnehmer ohne Weiteres verweigern. Im Übrigen müssen die betrieblichen Interessen und die Interessen des Arbeitnehmers auf angemessenen Gesundheitsschutz sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Hierbei kommt es auch darauf an, ob ein Arbeitnehmer zu einer Risikogruppe zählt. Die Fürsorgepflicht erfordert unter Umständen, dass ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter vorzeitig aus Risikogebieten zurückholt.

Lohnfortzahlung bei Quarantäne?

Müssen Mitarbeiter zu Hause arbeiten, wenn sie zwar unter Quarantäne stehen, aber nicht erkrankt sind? Wer unter Quarantäne steht, ist nicht krank und arbeitsfähig. Da derjenige sich nicht an den Arbeitsplatz begeben kann, muss er bei Vorliegen der technischen Voraussetzungen von zu Hause aus arbeiten. Ist das nicht möglich, erhält er aufgrund einer Vorschrift im Infektionsschutzgesetz sein Gehalt fortgezahlt, wie wenn er krankheitsbedingt arbeitsun­fähig wäre. Die Auszahlung erfolgt über den Arbeitgeber. Dieser hat jedoch einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Staat. Für finanziell gebeutelte Unternehmen ist relevant, dass sie ein Recht auf einen Vorschuss haben.

Juristisch eindeutig ist, dass ein Arbeitnehmer nicht einfach bei bloßem Verdacht einer Infektion zu Hause bleiben und die Arbeit verweigern darf. Vielmehr muss eine objektiv erhebliche Gefahr für Gesundheit und Leben bei der Ausübung der konkreten Tätigkeit bestehen. Reist ein Mitarbeiter im Urlaub in ein Gebiet, für das eine offizielle Reisewarnung besteht, und infiziert sich dort mit dem Virus, verliert er seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung, da er sich selbst bewusst in Gefahr gebracht hat. Dies gilt auch, wenn er beispielsweise wegen mittlerweile eingestelltem öffentlichen Verkehr nicht mehr rechtzeitig zurückreisen kann. Arbeitgeber tragen nämlich das sogenannte Wirtschaftsrisiko, Arbeitnehmer aber das Wege­risiko, also das Risiko, nicht oder nicht rechtzeitig zur Arbeitsstelle zu gelangen.

Homeoffice – in Krankheitszeiten beliebter als sonst.
Pixabay

Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers kann im Einzelfall folgen, dass dieser Homeoffice für alle oder einen Teil der Belegschaft anordnen kann oder sogar muss. Wird ein Betrieb aufgrund behördlicher Anordnungen geschlossen, müssen Arbeitnehmer der Anweisung, zu Hause zu arbeiten, auf jeden Fall folgen, wenn dies zumutbar ist. Auch im Homeoffice gilt, dass erkrankte Mitarbeiter nicht arbeiten müssen. Liegen keine behördlichen Anordnungen vor, muss der Arbeitgeber zwischen seinen Interessen und denen der Arbeitnehmer abwägen. Immer möglich ist es, zunächst auf freiwilliger Basis auf Heimarbeit umzustellen. Vielleicht finden sich ausreichend Freiwillige, im Betrieb das Risiko der Ansteckung unter den verbleibenden Mitarbeitern ausreichend zu begrenzen, indem etwa jeder zweite Schreibtisch leer bleibt.

In vielen Wirtschaftsbereichen ist allerdings keine Heimarbeit möglich. Besonders betroffen sind produzierende Unternehmen, etwa in der Hardwareherstellung, bei denen es durch die Virusausbreitung zu Störungen in der Lieferkette kommt. In anderen Branchen bricht die Nachfrage ein und es müssen Kosten eingespart werden. Dann kann es zu Kurzarbeit, betriebsbedingten Entlassungen et cetera kommen. Etliche Arbeitgeber, zum Beispiel Lufthansa, bieten ihren Mit­arbeitern auch unbezahlte Freistellung und andere Arbeits­zeitmodelle an, um in Zeiten wirtschaftlicher Einbußen die Personalkosten zu reduzieren. Gibt es einen Betriebsrat, ist dieser einzubinden. Noch besser ist es, mit ihm bereits vor dem Auftreten einer Krise über Betriebsvereinbarungen Lösungen für den Krisenfall vorzuhalten, um dann schnell reagieren zu können.

Schon vor der Krise die Krise planen

Zur Verantwortung von Vorständen und Geschäftsführern zählt es, ihre Unternehmen auch auf Krisen vorzubereiten. Zwar ist es schwer, immer genau vorauszusagen, welche konkreten Folgen auf ein Unternehmen zukommen. Andererseits sind generelle Krisenpläne, das Einrichten von Krisenstäben, Pläne zur Produktionsreduzierung, technische Möglichkeiten für Heimarbeit et cetera grund­sätzlich gut vorzubereiten. Geschäftsleiter dürfen sich im Krisenfall nicht darauf verlassen, durch den Staat schon aus der finanziellen Bredouille geholt zu werden. Sie trifft bereits vor dem Entstehen einer Krise eine proaktive Schadensminderungspflicht. Es ist nicht auszuschließen, dass es infolge der Corona-Krise zu Schadensersatzforderungen gegen Unternehmensleiter kommen wird.

Kommt es zur Störung von Lieferketten, drohen Ansprüche wegen verspäteter oder ausgefallener Lieferungen an eigene (Unternehmens-)Kunden. Hier helfen zunächst sogenannte Force-Majeure-Klauseln in den Lieferverträgen. Unter Force Majeure, auf Deutsch „höhere Gewalt“, wird meist ein „von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“ verstanden. Dass die Corona-Krise danach ein Fall höherer Gewalt ist, liegt auf der Hand.

Arek Socha auf Pixabay

Die Folge solcher Vertragsklauseln ist in der Regel, dass die von der höheren Gewalt betroffene Person zeitweilig oder dauerhaft von ihren vertrag­lichen Pflichten befreit wird, ohne Schadensersatz zahlen zu müssen. Meist bleibt es aber bei einer Pflicht zur Information des Vertragspartners über die Lieferschwierigkeiten. Wird eine solche unterlassen, kann es auch deswegen einen Schadensersatzanspruch geben. Dieser umfasst dann beispielsweise die Kosten, die der Besteller hätte einsparen können, wenn er von der Lieferverzögerung rechtzeitig erfahren hätte. Im schlimmsten Fall verliert ein Unternehmer auch sämtliche Vorteile aus einer Force-Majeure-Klausel.

„Höhere Gewalt“ auch ohne Vertragsklausel

Fehlt in Verträgen eine Force-­Majeure-Klausel, kommt es auf das geltende Recht an, ob ein Fall der höheren Gewalt als Leistungshindernis angesehen wird, das keinen Schadensersatz auslöst. Bei erheblichen Krisen wie der Corona-Krise, die zu einem weitgehenden Stillstand ganzer Nationen führt, kommt dies in Betracht. Allerdings kommt es auch hier auf den Einzelfall an. Ein Zulieferer von IT-Komponenten aus dem zeitweise abgeriegelten Wuhan ist hier anders zu betrachten als ein Unternehmen aus einem wenig bis gar nicht betroffenen Gebiet. Doch selbst dann kann es etwa zu Transportschwierigkeiten kommen.

Die Bewertung im Einzelfall hängt von behördlichen Anordnungen, Reisewarnungen und dergleichen ab. Bei der SARS-Epidemie im Jahr 2003 wurde juristisch oftmals höhere Gewalt angenommen. In manchen Ländern gibt es in solchen Fällen auch staatliche Bescheinigungen für Unternehmen. So stellt die chinesische Außenhandelsbehörde CCPIT-Zertifikate aus, mit denen Unter­nehmen nachweisen können, dass sie internationale Verträge nicht einhalten können, weil es Umstände außerhalb ihrer Kontrolle gibt. Innerhalb der eigenen Kontrolle liegt es aber auch dann, den Vertragspartner frühzeitig von etwaigen Schwierigkeiten zu informieren.

Staatliche Maßnahmen kommen derzeit langsam in Gang. Sie umfassen die üblichen In­strumente in solchen Situationen: Investitionen, Kurzarbeitergelder und Kredite. Sie sollen gerade kleine und mittlere Unternehmen schützen. Ob sie ausreichen, bleibt abzuwarten.

Neben dem Staat kommen Versicherungen in Betracht, um wenigstens die finanziellen Folgen der Krise zu lindern. Bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen greift eine Betriebsschließungsversicherung. Voraussetzung ist allerdings, dass die mittlerweile in § 6 des Infektionsschutzgesetzes (InfSG) genannte Coronavireninfektion miteingeschlossen ist. Die Versicherungsbedin­gungen müssen daher allgemein auf die entsprechenden Regelungen im Gesetz verweisen und nicht nur starr auf die Liste von Krankheiten zum Zeitpunkt des Abschlusses.

Gut versichert?

Betriebsunterbrechungsversicherungen erbringen Leistungen nur, wenn der Inhaber einer Firma erkrankt ist und es deswegen zum Ausfall kommt. Wird er unter Quarantäne gestellt, ohne zu erkranken, steht ihm ein finanzieller Ersatz nach dem InfSG zu. Ertragsausfallversicherungen erstatten in solchen Fällen nicht, da sie sich auf vorangegangene Sachschäden beziehen. Bei Transportverzögerungen helfen Transportversicherungen nicht, da diese zwar die transportierte Ware, nicht aber „Verzögerungen der Reise“ absichern. In der konkreten Situation ist nachvollzieh­bar, dass Versicherungsunternehmen derzeit für Corona-bezogene Risiken einen Annahmestopp für Neuversicherungen verhängt haben.

Fazit

Neue iPhones werden verspätet ausgeliefert, Computerchips nicht produziert. Viele reden schon von einer Verzögerung des 5G-Ausbaus. Nur wenige Anbieter, wie die von Smartphone-Spielen oder Remote-Desktop-Lösungen, profitieren von der gegenwärtigen Situation. Wenn sich eine Infektion wie Covid-19 rasend schnell zu einer Epidemie oder Pandemie entwickelt, stehen IT-Unter­nehmen vor einschneidenden Entscheidungen und Folgen. Neben Betriebsschließungen kann es zu Unterbrechungen der Lieferkette kommen. Hier helfen Force-Majeure-Klauseln, um Schadensersatz auszuschließen. Für produzierende Unternehmen kommen Kurzarbeit oder betriebsbedingte Entlassungen hinzu.

Mitarbeiter können bei bestimmten Voraussetzungen ins Homeoffice geschickt werden. Eines jedoch bleibt Arbeitgebern verborgen, wenn es der betreffende Mitarbeiter nicht mitteilen möchte: Es gibt keine Pflicht eines Arbeitnehmers, seinem Chef mitzuteilen, ob er womöglich oder tatsächlich mit Coronaviren infiziert ist. Es bleibt Aufgabe staatlicher Stellen, Maßnahmen wie Beschäftigungsverbote oder Quarantäne anzuordnen.

Der Staat will auch helfen, finanzielle Einbußen durch die Krise abzumildern. Auf Ver­sicherungsschutz können sich Unternehmen nur in wenigen Fällen verlassen. Die Corona-­Krise dürfte nicht nur die Juristen noch sehr lange beschäftigen. (ur@ix.de)

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