iX 4/2020
S. 84
Report
Digitale Souveränität

Gaia-X soll eine rechtskonforme europäische Cloud werden

Europäisch, global, sicher

Ariane Rüdiger

Wirtschafts- und Forschungsministerium wollen mit dem Gaia-X-Projekt die digitale Souveränität Deutschlands und Europas stärken – im Verbund mit der Wirtschaft.

Die mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft hat ein Problem: Sie kann kaum mithalten mit den großen Internet-, Hardware- und Softwarekonzernen aus den USA und China, aber auch nicht ohne deren Produkte arbeiten. Das Beispiel 5G führt derzeit vielen Entscheidern vor Augen, dass Firmen wie Huawei längst den Fuß in der Tür haben.

Digitale Souveränität, die Unabhängigkeit der mittelständischen Unternehmen und eine EU-rechtskonforme Datenverarbeitung lassen sich so nur schwer umsetzen. Doch was tun? Karl-Heinz Streibich, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, meint: „Für eine ­Kopie der großen amerikanischen zentralen B2C-Cloud-Infrastrukturen sind wir natürlich zu spät dran. Ein europäischer Ansatz müsste sich auf die nächste, disruptive Generation fokussieren: eine verteilte, föderale Edge-Cloud-Infrastruktur, aufbauend auf neuen und bereits vorhandenen RZ-Strukturen in Europa, ausgehend vom Domain-Wissen der Firmen und Branchen unseres Standorts.“

Karl-Heinz Streibich, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften: „Für eine Kopie der amerikanischen Strukturen sind wir zu spät dran. Ein europäischer Ansatz muss sich auf die nächste Generation fokussieren.“ (Abb. 1)
acatech

Auch der Politik blieb das Thema nicht verborgen, deshalb macht man sich jetzt an den Aufbau von Strukturen, die entscheiden werden, wer von der heraufdämmernden Datenwirtschaft profitiert. Bislang waren dies eindeutig die großen Cloud-Provider, die Unmengen von Daten horten und auswerten können. Wer größere Datenmengen sammeln und mit aktuellen Methoden analysieren will, ist zurzeit auf Technologie von AWS, Micro­soft und Google angewiesen. In Zukunft kommt vielleicht noch der chinesische Plattformbetreiber Alibaba hinzu. Das ist kein wünschenswerter Zustand, und Gaia-X soll ihn ändern.

Tragende Rolle für die Wirtschaft

Anders als schon bei vielen Versuchen, das Digitale in Deutschland politisch nach vorn zu bringen, war bei Gaia-X die Wirtschaft von Anfang an (Mit-)Initiator. „Gaia-X ist auf Initiative der Leitungsunternehmen der Plattform Industrie 4.0 entstanden“, erklärt Frank Melzer, Vorstand Product and Technology Management bei Festo. „Hierzu gehören die Bundesministerien für Wirtschaft und Energie sowie Bildung und Forschung und auf der Unternehmensseite SAP, Telekom, Bosch, Siemens, Schunk und Festo.“ Melzer hat als Leiter des Industrie-4.0-Steuergremiums Gaia-X mit erfunden.

Großes Interesse an Gaia-X hatte von Anfang an auch die mittelhessische Friedhelm Loh Group. Sie arbeitet schon geraume Zeit an einem Konzept für ihre Teilhabe an der entstehenden Daten­ökonomie. So wurde das Tochterunternehmen German Edge Cloud gegründet, das eine KI-Cloud für die Edge entwickelt hat und sie Kunden als Dienstleistung bereitstellt. ­Sebastian Ritz, CEO von German Edge Cloud, glaubt an deren wichtige Rolle: „Wir vertreten die Interessen des indus­triellen Mittelstandes in Bezug auf die datensouveräne Cloud und praktikablen Anwendungen für Gaia-X. Wir stellen die praktische Umsetzung durch Unterstützung bei Architektur, PoCs und praktika­blen Anwendungsszenarien sicher.“

Auch personell hat sich die mittelhessische Unternehmensgruppe erheblichen Einfluss gesichert: Arne Schmieg, CTO von GEC, leitet das Gaia-X-Architekturteam als Pate und Ritz gehört zum übergreifenden Managementteam von Gaia-X.

Der Automobilzulieferer Bosch, gebeutelt durch die Krise der Branche, wittert in Gaia-X ebenfalls erhebliche Potenziale, erklärt Stefan Aßmann, Business Chief ­Digital Officer für den Unternehmens­bereich Industrial Technology: „Die Idee, die dem Projekt zugrunde liegt, entspricht unserer Überzeugung, gemeinsam erreichen wir mehr als jeder für sich alleine.“ SAP verlautbart: „Wir unterstützen diese Bestrebungen für mehr Vertrauen und ­Sicherheit in der Cloud in einem fairen, globalen Wettbewerb.“

Ein vertrauenswürdiger Datenraum für Europa

Was nun ist Gaia-X? Wer vertiefte Details wissen will, kann beim BMWi ein umfassendes Konzeptpapier (Abbildung 2) herunterladen. Demnach soll als Ziel von Gaia-X ein europaweites Netz aus Cloud-Knotenpunkten entstehen, die entsprechend einer noch von Gaia-X-Gremien festzulegenden Spezifikation zertifiziert sind (Abbildung 3).

Auf der Webseite der Bundesministerien für Wirtschaft und Energie sowie für Bildung und Forschung findet sich die 50 Seiten lange Broschüre zu Gaia-X mit vielen Anwendungsbeispielen (Abb. 2).
Die schematische Darstellung der Gaia-X-Dateninfrastruktur und ihrer Umgebung zeugt vom hohen Abstraktionsgrad der Architektur (Abb. 3).
BMWI

Die Spezifikationen, denen jeder ­Gaia-X-­Knoten gehorchen muss, sollen Offenheit sicherstellen und den Erzeugern von Daten die eigene Datenhoheit erhalten. Sie sollen ihre Daten, wenn gewünscht, in ihrer eigenen Infrastruktur oder bei Gaia-X-konformen Anbietern ­lagern und im Detail bestimmen können, wer zu welchen Konditionen in welchem Umfang darauf zugreifen darf, um sie beispielsweise zu analysieren. Dabei können auch die Algorithmen zu den Daten kommen – offene Schnittstellen, entsprechende Authentisierungs- und Berechtigungs­systeme sind hier Voraussetzung.

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