iX 4/2020
S. 92
Report
Großrechner

Stand der Mainframe-Technik im Jahr 2020

Alles in einem Blech

Berthold Wesseler

Auch Mainframes müssen mit der Zeit gehen. Die neuen, Ende 2019 von IBM und Fujitsu vorgestellten Systeme zeigen, wie unterschiedliche Wege zum selben Ziel führen sollen.

Herbst 2019, das Zeitalter der Cloud und Container – und IBM und Fujitsu stellen neue Großrechner ­vor. Aber was nach reinem Legacy-Geschäft klingt, soll Unternehmen vielmehr beim Konsolidieren ihrer IT-Infrastruktur helfen: Auf den neuen Mainframes lassen sich altbewährte Anwendungen parallel mit aktuellen Applikationen betreiben. IBMs z15 bietet dafür neben dem klassischen Mainframe-Betriebssystem auch diverse Linux-Umgebungen an – und kann laut ­Hersteller bis zu 2,4 Millionen Docker-Container auf einem einzigen System betreiben. Die neuen Fujitsu-Großrechner bieten andererseits eine Livemigration für Mainframe-Systeme auf x86- und /390-Server.

Mainframes passen durchaus in die moderne IT, doch über Kaufpreise und Installationszahlen muss man spekulieren. Die umgangssprachlich Big Iron genannten Großrechner kommen heute hauptsächlich bei Behörden und Konzernen für kritische Anwendungen und die Massendatenverarbeitung zum Einsatz. Der Name bezog sich ursprünglich auf das schrankgroße Blechgehäuse – den Main Frame. Er beherbergt die CPU und den Hauptspeicher. Mit dem Aufkommen des PCs wandelte sich der Begriff, um die kommerzielle Spitzenklasse von weniger leistungsstarken Computern zu unterscheiden.

Heute dienen Mainframes häufig als OLTP-Server (Online Transaction Processing, Onlinetransaktionsverarbeitung) mit großer Zuverlässigkeit und hohem Datendurchsatz – in der Industrie- und Verbraucherstatistik, Warenwirtschaft oder bei der simplen Transaktionsverarbeitung, wenn diese, wie bei Kontobewegungen oder beim Aktienhandel, eine hohe Frequenz erreicht. Insbesondere Banken wickeln mit den Systemen riesige Transaktionsvolumina zügig ab. So müssen etwa Investmentbanken den Hochfrequenzhandel priorisieren und unverzüglich auf Veränderungen an den Finanzmärkten reagieren. Aber auch im Privatkundengeschäft, bei Kreditkartentransaktionen, Geldautomatenabhebungen oder Onlinekontoaktualisierungen, helfen Mainframes.

Versicherungen leben und sterben ebenso mit ihren Daten, auf deren Basis sie die Risiken einschätzen, Preise festlegen und in die richtigen Märkte investieren. Auch Fluggesellschaften nutzen Mainframes, um sicherzustellen, dass Personen, Fracht und Flugzeuge effizient an ihr Ziel kommen. Traditionelle Einzelhändler behalten mit Großrechnern ihre Lagerbestände im Auge – und Onlinehändler müssen ebenfalls unzählige Transak­tionen abwickeln.

Lange Geschichte mit konstanten Updates

Den Markt für Mainframes dominiert IBM, die ihn im Jahr 1964 mit dem System/360 erfunden hat und heute schätzungsweise 90 Prozent aller modernen Rechner stellt. Die Installationszahlen liegen weltweit im mittleren vierstelligen Bereich. Die Nummer zwei, Fujitsu, kommt in Europa auf gut 300 BS2000-Kunden, davon etwa hundert in Deutschland.

Mit dem System/360 legte IBM den Grundstein für sein Mainframe-Geschäft. Hier kommt er bei den Vorbereitungen auf die Winterspiele 1968 in Grenoble zum Einsatz. Die heutigen Großrechner haben – ihrem Ruf zum Trotz – nur wenig mit ihren Urahnen gemein (Abb. 1).
Nationaal Archief, CC0

Daneben existieren weitere Hersteller wie Unisys mit dem OS2200- sowie dem Univac-Betriebssystem und Atos/Bull gemeinsam mit NEC und den Betriebssystemen ACOS und GCOS. Hitachi hat 2017 die Weiterentwicklung der eigenen VOS3-­Mainframes eingestellt, bietet das Betriebssystem aber weiterhin auf IBMs z-Mainframes an. Auf letzteren lassen sich neben z/OS auch z/VSE, z/TPF und die Virtualisierungstechnik z/VM einsetzen. Immer stärker kommen außerdem das hauseigene z/Linux oder eine Distribution von Red Hat, SUSE oder Canonical hinzu.

Meistens portieren die Hersteller ihre Betriebssysteme auch auf x86-Architektur und bieten ihre Systeme mit dieser an, weil sie so das kostspielige Entwickeln dedizierter Mainframe-Prozessoren vermeiden wollen. Das kann sich heute nur noch IBM leisten, weil die Konkurrenz ihre Hardware nicht in wirtschaftlichen Stückzahlen weiterentwickeln und fertigen kann. IBM hat Fujitsu und Hitachi mittlerweile als Wiederverkäufer ihrer Mainframe-Technik gewonnen, die die japanischen Konzerne in ihren Rechnern all denjenigen ihrer Kunden anbieten, die nicht auf x86-Server ausweichen können oder wollen.

Wege der Architekturen und Portierungen

Der US-Hersteller Unisys agiert anders und begann bereits vor zehn Jahren damit, die typischen Vorbehalte gegen x86-Prozessoren, insbesondere hinsichtlich Durchsatz und Zuverlässigkeit, durch eine eigene Virtualisierungssoftware­ namens secure Partitioning (s-Par) so­wie spezielle Firmware- und Middleware­-Schichten zu kompensieren. Letztere sorgen dafür, dass die Anwendungen der beiden Zweige der Mainframe-Familie Clearpath von Unisys – Sperry Univacs Dorado mit dem Betriebssystem OS2200 und Burroughs Libra mit MCP – ohne Hürden auf Intels Xeon-Prozessoren laufen. Seit 2014 funktioniert das sogar mit mehr Leistung als auf der proprietären Hardware. Zuvor hatte Unisys bereits die Fertigung von Netz­teilen, Verkabelung und ASICS aufgegeben, denn auch hier stellen die Mainframes ihre eigenen Anforderungen.

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