iX Special 2021
S. 56
Quantensysteme
Installationen

Quantencomputer in Deutschland

Teamwork

Mark Mattingley-Scott, Ingolf Wittmann

Nahe Stuttgart steht der erste Quantencomputer Deutschlands. Gemeinsam mit mehreren Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft hat IBM dort sein Q System One aufgebaut.

Seit Januar 2021 kann sich auch Deutschland mit einem ersten funktionsfähigen Quantencomputer brüsten. Doch zumindest seine Produktion fand noch im Ausland statt: Fast ein Jahr dauerte der Bau des IBM Q System One in den USA. Dabei war der Zeitaufwand für den physischen Aufbau mit einer Dauer von knapp zwei Monaten recht überschaubar. Das Gros der Arbeitszeit nahm, wie bei Quantencomputern üblich, die Kalibrierung der Qubits ein, um Fehlerraten zu verringern und Kohärenzzeiten möglichst zu verlängern. Zudem wurde die tatsächliche Installation des Systems in Ehningen durch die Coronapandemie erschwert. Dadurch blieb lange fraglich, ob das System wie geplant im November 2020 geliefert und aufgebaut werden könne.

Seinen Anfang nahm das Ehninger Projekt mit einem Gespräch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ginni Rometty, damals CEO von IBM, auf dem Weltwirtschafts­forum in Davos im Januar 2019. Das Ergebnis dieser Unterhaltung war unter anderem die Vereinbarung, einen Quantencomputer in Deutschland zu installieren. Kurz zuvor hatte IBM auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas das IBM Q System One als ersten kommerziell verfügbaren Quantencomputer angekündigt. Das System sollte eigentlich nur in einem IBM-Rechenzentrum nördlich von New York City aufgebaut werden.

Parallel gab es erste Gespräche zwischen IBM und Fraunhofer über eine mögliche Kooperation und Mitgliedschaft der Forschungsgesellschaft im IBM Q Network (siehe Kasten „Das IBM Q Network“). In diesem Netzwerk wollen Unternehmen, akademische Einrichtungen, Start-ups und nationale Forschungslabore gemeinsam das Thema Quantencomputing vorantreiben. Aus diesen Kontakten wuchs schließlich eine Kooperationsvereinbarung zwischen IBM und Fraunhofer samt der Abmachung, ein Quantensystem in Deutschland aufzubauen.

Vor der Unterzeichnung aller Verträge im Februar 2020 galt es allerdings noch, die Finanzierung, die patentrechtlichen Regelungen, die Exportregulierung, Data Privacy und Data Security zu klären. Schließlich besteht das Ziel des Projekts darin, ein Förderprogramm für Quantencomputing aufzubauen, das die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der akademischen Einrichtungen stärkt und gleichzeitig die digitale Souveränität am Standort Deutschland für Quantentechnik sicherstellt.

Ein weiter Weg ins normale Rechenzentrum

Bei der Suche nach dem Standort für das erste Quantensystem außerhalb der USA fiel die Wahl auf das Rechenzentrum IBMs in Ehningen bei Stuttgart: Dort befindet sich einerseits die IBM-­Zentrale für Deutschland, Österreich und die Schweiz, andererseits leistete das Land Baden-Württemberg die Anschub­finanzierung.

Damit ein Quantencomputer in ein herkömmliches Rechenzentrum einziehen kann, muss er dafür gerüstet sein. Die empfindlichen Qubits verlieren schnell ihre speziellen Quanteneigenschaften: Bei supraleitenden Qubits passiert das nach jetzigem Stand der Technik typischerweise innerhalb von 100 Mikrosekunden. Auslöser können Umgebungsgeräusche, Vi­bra­tionen, Temperaturschwankungen und elektromagnetische Wellen sein. Der Schutz vor diesen Störungen erfordert Sorgfalt bei der Planung und die Isolierung der Komponenten. Quantensysteme werden daher noch nicht auf klassischen Produk­tionsstraßen gefertigt, stattdessen ist Handarbeit gefragt.

Bereits 2018 stellte IBM ein Team von Industriedesignern, Architekten und Komponentenherstellern zusammen, die gemeinsam mit Wissenschaftlern und Systemingenieuren von IBM Research ein solches System entwerfen sollten. Beteiligt waren auch die britischen Studios für Industrie- und Innenarchitektur Map Project Office und Universal Design Studio sowie Goppion, ein in Mailand ansässiger Hersteller von Glasvitrinen. Das Konsortium entwickelte das erste Quantensystem, das die Komponenten in einer verglasten, luftdichten Umgebung zusammenfasst, die speziell für den Einsatz in gängigen Rechenzentren entwickelt wurde. Dieses integrierte System soll die Qualität der Qubits gewährleisten, eine der wichtigsten Voraussetzungen fürs Quantencomputing.

Da hinter den IBM-Gebäuden die Autobahn A81 mit entsprechendem Schwerlastverkehr verläuft, mussten zunächst Messungen der Elektromagnetik und der Erschütterungen im umgebenden Rechenzentrum zeigen, ob es am Standort solche Umwelteinflüsse auf das System gibt. Die Messungen konnten negative Auswirkungen auf den sensiblen Quantenrechner ausschließen.

Die Infrastruktur für den Betrieb ist simpel: Das IBM Q System One hat einen Stromverbrauch von etwa 10 kW und eine Stellfläche von rund 10 m2. Weitere Geräte für den Betrieb sind im Glaskubus und in 19"-Racks auf der Rückseite untergebracht. Die Kompressoren, Stickstoffbehälter und eine Kontrollkonsole befinden sich außerhalb des eigentlichen Systems in einem Nebenraum.

Der fertige Rechner sollte prominent sichtbar sein: Ein Raum mit großem Panoramafenster präsentiert das IBM Q System One in einem Glaskubus (Abb. 1).
IBM

Kompakt, modular, integrativ

Klassische Computer kombinieren mehrere Komponenten zu einer integrierten Architektur. Denselben Grundsatz wendet IBM beim Q System One an. Das Designziel war ein von Wissenschaftlern, Systemingenieuren und Industriedesignern kooperativ entwickeltes integriertes Quantencomputersystem mit modularem und kompaktem Design, das auf Stabilität, Zuverlässigkeit und kontinuierliche kommerzielle Nutzung zielt. Das ermöglicht den erstmaligen Einsatz universeller Quantencomputer außerhalb von Forschungszentren. Es besteht aus ei­ner Reihe von Komponenten:

  • Die Quantenhardware ist stabil und automatisch kalibriert, um wiederholbare und vorhersehbare Qubits von hoher Qualität zu erhalten.
  • Die Kryotechnik stellt eine kontinuierlich kalte und isolierte Quantenumgebung sicher.
  • Die präzise Steuerelektronik in kompakter Bauform dient der genauen Kontrolle einer großen Anzahl von Qubits.
  • Die Quanten-Firmware übernimmt die Verwaltung des Systemzustands und die Aktivierung von Systemaktualisierungen ohne Ausfallzeiten für Benutzer.
  • Die klassischen Berechnungen gewährleisten einen sicheren Cloud-Zugriff und die hybride Ausführung von Quanten­algorithmen.

Im November 2020 wurden die ersten Komponenten angeliefert. Da die für den Aufbau eingeplanten erfahrenen Experten aus dem US-amerikanischen Forschungszentrum aber aufgrund der Pandemie nicht nach Deutschland reisen durften, mussten deutsche Mitarbeiter den Quantencomputer zusammenbauen.

Dank häufiger Videokonferenzen mit den Kollegen in Yorktown Heights konnte das deutsche Team das System gemeinsam mit ihnen aufbauen und kalibrieren. Die US-Kollegen schalteten sich dabei bereits morgens um 3 Uhr eigener Ortszeit ein, um während des gesamten europäischen Arbeitstags unterstützen zu können. Von der NASA inspirierte Vorgehensweisen, wie das intensive Üben von Installationsprozessen oder mehrere Ausfallsicherungen für jede Komponente zu haben, halfen zusätzlich.

Dadurch gelang es, dass das Quantensystem innerhalb des ursprünglichen Zeitplans online ging und bereits vor Weihnachten 2020 erste Quanten-Gate-Operationen durchführte. Anfang Januar 2021 wurde der Rechner an das Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme FOKUS übergeben, Ende des Monats begann schließlich der Regelbetrieb – rechtzeitig zum Start des baden-württembergischen Quantencomputing-Kompetenzzentrums.

Zum Jahreswechsel 2020/2021 konnte IBM das fertige System an die beteiligten Institute der Fraunhofer-Gesellschaft über­geben (Abb. 2).
IBM

Gefördertes Quantencomputing

Mit über 19 Millionen Euro gab das Landesministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau dem Fraunhofer-Kompetenzzentrum Quantencomputing Baden-Württemberg die Anschubfinanzierung sowohl für das Ehninger IBM Q System One als auch für sechs Verbundprojekte bis Ende 2023 (siehe Kasten „Die sechs QC-Verbundprojekte in Baden-­Württemberg“). Das Fraunhofer IAF in Freiburg und das Fraunhofer IAO in Stuttgart sind für die administrative Koordination des Kompetenzzentrums verantwortlich. Das Zentrum verfolgt vier Ziele: erstens den Aufbau eines Quantencomputing-Centers in Baden-Württemberg, zweitens die Befähigung der Industrie, Quantencomputing zu verstehen und anzuwenden, drittens Hardware und Software zu ent­wickeln und viertens Quantensimulationen vergleichend zu untersuchen.

Die Verbundprojekte haben die drei Schwerpunkte Materi­alien und Quantenchemie, Quantenalgorithmen sowie Quantenspeicher und Quantenprozessoren. Die Projektbewerbungen mussten im Vorfeld zum einen über Letter of Intents das Interesse der Industrie an den Projekten nachweisen. Zum anderen stellt die assoziierende Mitgliedschaft sicher, dass die Projekte über die gesamte Laufzeit begleitet werden.

Zusagen für die Beteiligung stammen unter anderem von Bosch, Daimler-Benz, Wüstenrot & Württembergische, Bausparkasse Schwäbisch Hall, Airbus, UniCredit Bank, Überlandwerk Mittelbaden, Tensor Solutions, Leichtbau BW, BASF, Merck, SVA, Evatec Europe und attocube.

Das Fraunhofer IAO und IAF haben bereits begonnen, den Bildungsauftrag für Quantumcomputing mit ersten Veranstaltungen in die Tat umzusetzen. Das Spektrum reicht von einfachen Awareness Sessions bis hin zu mehrtägigen Deep Dive Industry Use Case Workshops. Die ersten Pilot-Events fanden mit dem DigitalDialog als einstündige virtuelle Veranstaltungen für Industrieunternehmen noch 2020 statt. Im Januar 2021 folgte die erste Pilotschulung mit neun Sessions über jeweils vier Stunden für die Projektteilnehmer. Die Kurse behandeln die Basics des Quantencomputings: lineare Algebra, Quantenalgorithmen, eine Einführung in die IBM-Q-Qiskit-Programmierung, Quantumvolumen sowie Fehlercharakterisierung und -korrektur.

Fazit

Nicht nur das gesamte Fördervorhaben in Baden-Württemberg ging extrem schnell über die Bühne. Es ist auch allen Be­teiligten zu verdanken, dass die Installation trotz widriger Umstände im Zeitrahmen erfolgreich abgeschlossen und die Projekte gestartet werden konnten. Auf Landesebene hat sich bereits eine Quantum-Community gebildet. Auch das Inte­resse von außen ist groß. (sun@ix.de)

Mark Mattingley-Scott

ist Principal und Ambassador Leader EMEA & AP bei IBM Quantum.

Ingolf Wittmann

ist Geschäftsfeldleiter für Quantensysteme am Fraunhofer-Institut für Angewandte Festkörperphysik IAF.

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