iX 3/2021
S. 3
Editorial
März 2021

Rückkehr der Bananensoftware

Als ich Anfang der 80er-Jahre des letzten Jahrhunderts Sozialwissenschaften studierte, galten Computer als Teufelszeug, allein dazu erfunden, Hunderttausende Arbeitsplätze zu vernichten. Wie man weiß, kam es anders: Es folgte das wohl größte Arbeitsbeschaffungsprogramm aller Zeiten, und die elektronische Datenverarbeitung brachte unzählige neue Berufe hervor. Auch ich landete über einige Umwege in dieser nun verheißungsvollen Branche.

Programmiert wurde damals bei größeren Vorhaben nach einem ausgeklügelten Plan, Wasserfallmodell genannt. Mein damaliger Chef sah darin ein „ingenieurmäßiges“ Vorgehen, bei dem wir Deutsche ja als unschlagbar gelten. Man versuchte, jeden denkbaren Fall im Vorfeld zu erkennen und in der Anwendung abzubilden. Das funktioniert bekannter­maßen meist nicht zufriedenstellend, zu schnell ändern sich Anforderungen und die Launen der Benutzer. Und so entstand die berüchtigte Bananensoftware, die erst bei den Kunden reift. Manchmal machten die auch einen großen Bogen um die ihnen oft ungefragt aufs Auge gedrückten Elaborate und planten Vertriebseinsätze lieber weiter auf ihrer Schreibtischunterlage aus Papier.

Etwas Neues musste dringend her, und so setzten 2001 einige Softwareentwickler in den USA das agile Manifest auf, das den verkrusteten Ideen endlich den Garaus machen sollte. Plötzlich stand der Mensch im Mittelpunkt, eine revolutionäre Idee, wenn man bedenkt, dass viele IT-Abteilungen mit Zugangscode gesichert waren und der oder die schnöde Sach­bearbeiter/-in ohne Audienz nicht reinkam in die heiligen Hallen. Der Anwender sollte nun beim Planen und Umsetzen der Programme mitwirken, die Methode „Friss oder stirb“ auf dem Müllhaufen der Geschichte landen.

Das erzeugte Aufbruchstimmung, feste Releases entfielen irgendwann, man liefert die Software häppchenweise aus, und die anfangs etwas eingeschüchterten Kunden mischten bald kräftig mit. Aber, oh weh, auch dieses Vorgehen hatte seine Tücken. Zu vage war das Ganze formuliert, zu viel Enthusiasmus war im Spiel, und plötzlich wollten doch wieder alle wissen, was es kostet und wie lange es dauert.

Kunden und Anbieter sehnten sich zudem nach verlässlichen Absprachen, einem verständlichen Vokabular ohne Epics, Sprints und Backlogs, weniger Beratern und Regelwerken sowie Ruhe im Laden. Denn nörgelnde Anwender, ruckelnde Programme, kilometerlange Listen mit Fehlertickets, Krisensitzungen und ewige Hängepartien sind nicht gerade das, was man sich von Scrum und Co. erhofft hatte. Einige prominente Programmierer bezeichnen „Agile“ sogar als „Krebs der Softwareentwicklung“ und verlangen, diese Technik vom Antlitz der Erde zu tilgen.

Derweil verbreiten derlei hingegurkte Anwendungen bei den Benutzern ebenso Angst und Schrecken wie vorher nur die monströsen Beiträge aus dem Hause SAP. Denn jedes Update bügelt zwar einige Macken aus, schleust aber auch gern neue oder längst behoben geglaubte wieder ein. Und so feiert die Bananensoftware, man mag es kaum glauben, ein glorioses Comeback.

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