iX 7/2022
S. 3
Editorial
Juli 2022

Industrie 4.0 schafft Arbeitsplätze für dressierte Affen

Philipp Steevens

Jede Aufgabe, bei der man sich fragt, warum sie heute noch ein Mensch erledigen muss, sollte automatisiert werden. So rührte zuletzt auch die Hannover Messe mit den Schlagworten Digitalisierung und Nachhaltigkeit mächtig die Trommel für die Industrie 4.0. Auch der Bitkom beschäftigte sich anlässlich der Messe mit dem Thema und schloss: „In der Industrie 4.0 ist Platz für Beschäftigte jeden Bildungsgrades.“ Das beruhigt. Aber wo genau bleiben die Menschen in der Industrie 4.0?

Für das Automatisieren sind mehrere Szenarien denkbar: Roboter oder Programme übernehmen repetitive Routinejobs in Fabriken und Ämtern und Techniker überwachen sie. Oder die Roboter übernehmen Jobs, sind aber simpel genug, dass jede und jeder sie überwachen kann. Zuletzt ist auch möglich, dass Menschen die hirntoten Tätigkeiten weiter machen, aber Roboter anstelle von mittleren Managern das Überwachen übernehmen. Klingt alles erst mal „gut“. Weniger Menschen arbeiten, alle sind noch produktiver und die Wirtschaft kann endlich weiter wachsen. Fraglich bleibt nur, ob noch genug Geld zum fröhlichen Konsumieren bei den jetzt nicht mehr Arbeitenden ankommt. Und ob die ungelernten Überwacher überhaupt mehr als Mindestlohn bekommen.

Egal, ob wir zum Überwachen der vollautomatischen Produktion nur noch hoch spezialisierte Fachidioten oder dressierte Affen brauchen: Die Automatisierung muss der gesamten Menschheit dienen und nicht nur den Besitzern der Produktionsmittel. Wie sich gerade beim Tankrabatt zeigt, ist aber auf die Gutherzigkeit von Firmen überraschenderweise kein Verlass. Es besteht politischer Handlungsbedarf.

Übernehmen bald KI und Roboter die meisten Arbeiten produktiver als der Otto Normalmensch, dann muss der technisch generierte Wohlstand trotzdem irgendwie verteilt werden. Denn wegbrechende Konsumenten schaden auch den Produktionsmittelbesitzern. Wichtiger ist aber noch die menschliche Ebene von Industrie 4.0. Sind die hirnlosen Jobs erst mal wegrationalisiert, bleibt den Menschen Zeit für erfüllende Tätigkeiten. Statt 50 Jahre am Fließband zu stehen, müssen Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten besser und Normalität werden.

Nachhaltigkeit in Digitalisierung und Automatisierung nutzt den Menschen nur, wenn alle etwas davon haben. Dafür muss nicht nur in KI und Roboter investiert werden, sondern insbesondere in Menschen und Gesellschaft. Auch von den Fabrikbesitzern.

Philipp Steevens

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