Undercover-Story: Wie Heilpraktiker einen Krebspatienten behandeln

Karl Lauterbach will die Homöopathie als Kassenleistung streichen. Unser Reporter hat sich als Krebspatient ausgegeben und acht Alternativpraxen besucht.

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Wie Heilpraktiker einen Krebspatienten behandeln

(Bild: Bukhta Yurii/Shutterstock.com)

Stand:
Lesezeit: 23 Min.
Von
  • Hristio Boytchev
Inhaltsverzeichnis

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Finanzierung homöopathischer Behandlungen durch gesetzliche Krankenkassen streichen. Zwar sei sie vom Ausgabenvolumen nicht bedeutsam, aber sie habe "in einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik keinen Platz", sagte Lauterbach dem Spiegel bereits 2022. Nun liegt ein Maßnahmenpapier zur Finanzlage des Gesundheitwesens vor. "Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln bezahlt werden", schreibt das Gesundheitsministerium. Daher werde man "die Möglichkeit der Krankenkassen, in der Satzung auch homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen, streichen", wie die Tagesschau berichtet.

Aus diesem Anlass veröffentlichen wir diese Reportage, die ursprünglich in Technology Review 6/2016 (als pdf im heise shop bestellbar) unter dem Titel "Die Unheiler" erschienen ist, erneut. Der Text stammt aus dem Pool von Correctiv.org. Correctiv.org ist das erste gemeinnützige Recherchezentrum in Deutschland. Es finanziert sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge.

Hallo, mein Name ist Niko Scholze, ich bin 33 Jahre alt und habe Krebs. Genauer: Ein Hodgkin-Lymphom, einen Tumor, der die Lymphknoten befällt. Vor einem Jahr habe ich eine Chemotherapie gemacht. Der Krebs verschwand, doch nun ist er zurückgekehrt, ungewöhnlich für diese Art von Tumor, aber es kommt vor. Wobei es mir gut geht, ich habe keine Symptome. Mein Arzt drängt auf eine neue Chemotherapie, höher dosiert.

Das ist zum Glück alles nur ausgedacht. In Wirklichkeit heiße ich Hristio Boytchev, bin Wissenschaftsjournalist und gesund. An Krebs leide ich zum Schein, um Deutschlands Alternativmediziner auf die Probe zu stellen. Was raten Geistheiler und Neugermanische Doktoren, Schamanen und Heilpraktiker einem, der mit einem aggressiven Tumor zu ihnen kommt?

Alternative Medizin boomt. Die Deutschen geben dafür geschätzt mehrere Milliarden Euro im Jahr aus. Weitere Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu jeder zweite Krebspatient davon in irgendeiner Form Gebrauch macht. Dennoch wissen Behörden und Ärzte erstaunlich wenig darüber, was abseits der Krankenhäuser passiert.

Wir – meine vorgebliche Studienfreundin Claudia Ruby, tatsächlich ist auch sie Wissenschaftsjournalistin, und ich – haben uns daher auf den Weg gemacht zu acht Heilern, die den Ruf haben, Krebs auch ohne Schulmedizin heilen zu wollen. Claudia Ruby hat die Recherche verfilmt, für ihren Dokumentarfilm "Krebs – das Geschäft mit der Angst". Sie hat die Besuche organisiert, den Diagnosebrief, den ich immer mitführe, genauso wie eine DVD mit Computertomografien. Darauf sieht man, dass der Tumor jetzt auch die Milz befallen hat.

Auf der Reise werde ich viel Widersprüchliches und Wirres über mich hören, werde Gedichte vorgelesen bekommen und mich einer Geistheilung unterziehen. Und ich werde eine Ahnung davon bekommen, wie es ist, Angst zu haben. Die Angst davor, todkrank zu sein – und eine Entscheidung fällen zu müssen, wem ich glauben soll. In dem kleinen Ort Greiz, am Rand des Erzgebirges, befindet sich die "Klinik im Leben", die auf ihrer Webseite vielversprechend mit "Biologischer Krebsmedizin" wirbt. Tatsächlich ist die "Klinik" ein unscheinbares gelbes Mehrfamilienhaus. Das Wartezimmer ist mit Möbeln vollgestellt, die aus DDR-Zeiten zu stammen scheinen, alte Damen sitzen darauf. Mittendrin gluckert ein beleuchteter Springbrunnen.

Der Arzt Uwe Reuter bittet uns herein. Er sitzt hinter einem iMac, auf dem er mir manchmal Bilder zu seinen Therapien zeigt. Er ist um die 50, groß und hager, sein Gesicht wirkt durch eine rahmenlose Brille besonders ernst. Ich erzähle ihm meine Geschichte.

Er hört aufmerksam zu, und dann wirkt es eine Weile, als könne er sich nicht entscheiden, was er mir raten soll. Schließlich hat er es: Ich soll zunächst eine "Diagnosereihe" in seiner Klinik machen, drei oder noch besser fünf Tage, für rund 1000 Euro. Da seien "elektromagnetische Messungen" für den "Energiehaushalt einzelner Organe" gleich mit inbegriffen. Erst dann könne er bestimmen, welche Therapie bei mir angezeigt sei. "Hypnose, Homöopathie, Vitamin-B17-Infusionen" werden wohl eine Rolle spielen, sagt Reuter, und eine "Fiebertherapie", bei der ich abgestorbene Bakterien gespritzt bekomme.

"Zusätzlich zur Chemotherapie oder allein?", frage ich. Diese Entscheidung könne er mir nicht abnehmen, sagt der Arzt, ich soll sie von meinem "Inneren her" treffen. Ich müsse begreifen, dass meine Krankheit nicht von außen komme, und dass Therapien nur unterstützend wirkten – die Heilung "muss vom Inneren her kommen".

Er sagt das alles beiläufig, mit monotonem Nuscheln. Aber verbirgt sich in diesen Worten nicht die Unterstellung, dass ich Schuld sei an meiner Erkrankung? Nicht eine Zelle ist mutiert und zum Tumor gewuchert – sondern etwas Grundlegendes stimmt nicht mit mir, mit meinem Leben, meiner Herkunft, meiner Einstellung, was auch immer. Ein Denkmuster, das typisch ist für die Alternativmedizin – und auf das ich bei meiner Reise immer wieder stoßen werde.

Am Ende schlägt Reuter vor, die Chemotherapie um ein Vierteljahr zu verschieben und mithilfe seiner Therapie "all das beiseite zuschieben, was die Heilung verhindert" – Giftstoffe, Ablenkungen und Ängste. Die Kosten? Rund 10000 Euro für die gesamte Therapie. Später sagt Hans Josef Beuth, Mikrobiologe an der Universität Köln und einer der führenden Experten zur Alternativmedizin: Ein hoher Preis erhöhe paradoxerweise die Glaubwürdigkeit der Heiler. Je mehr ein Patient zahle, desto mehr habe er das Gefühl, dass die Therapie ernst zu nehmen sei. Herr Reuter muss ein sehr ernst zu nehmender Heiler sein.