Rückblick 2023: Was uns bewegt hat

Die Autoindustrie hat ein Jahr des Wandels hinter sich, und die Aussichten sind eher trüb. Ein Rückblick, auch auf die Testwagen des Jahres.

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Fiat 500e Cabrio

(Bild: Florian Pillau)

Lesezeit: 8 Min.
Inhaltsverzeichnis

In der Autoindustrie gab es einige bemerkenswerte Entwicklungen. Volkswagen und Stellantis, zwei Schwergewichte also, suchten sich 2023 Partner in China, um auf dem dortigen Markt stärker als bisher aufzutreten. Volkswagen muss dafür unter anderem seine Software in den Griff bekommen und tauschte im Mai die Führungsmannschaft seiner Sparte Cariad aus. An anderer Stelle hetzt VW dem Markt hinterher, zumindest hierzulande. Die neuen Plug-in-Hybride von Volkswagen fahren deutlich weiter als ihre Vorgänger und können auch wesentlich schneller laden. Auf dem deutschen Markt aber sind Plug-in-Hybride deutlich weniger gefragt, seit die Kaufunterstützung entfiel. Das, was VW jetzt auf den Markt bringt, wäre vor drei Jahren wichtig gewesen.

Audi bekam einen neuen Chef. Markus Duesman, dem nachgesagt wurde, sich mit Volkswagen-CEO Oliver Blume leidenschaftlich über den richtigen Weg gestritten zu haben, musste seinen Posten an Gernot Döllner abgeben. Der mit Spannung erwartete Audi Q6 e-tron ist trotzdem noch immer nicht auf dem Markt. Auch sonst gibt es im Portfolio von Audi reichlich Baustellen. Die Modellpalette wirkt fast durchweg nicht mehr frisch, sichtbare Updates für wichtige Quotenbringer wie A4 oder Q5 liegen zum Teil Jahre zurück. Audi hat in den kommenden Jahren viel vor, denn in einigen Bereichen sind Mercedes und BMW weit enteilt. Beide wollen in China ein Ladenetz aufbauen. Auf dem nordamerikanischen Markt dagegen haben einige Firmen solche Pläne aufgegeben und steigen in das Ladenetz von Tesla ein.

Rückblick auf das Jahr 2023, Teil 1: Nachhaltige Planlosigkeit

2023 funkte zudem noch einmal die Vergangenheit des Abgasbetrugs hell leuchtend bei Audi herein. Rupert Stadler und Mitangeklagte haben klug taktiert und sind mit Strafen bedacht worden, die weder ihre Freiheit noch ihre finanzielle Situation wesentlich beschneiden. Sie hätten sich zurücklehnen und auf die Vergesslichkeit der Massen setzen können, um ihren Lebensabend zu genießen. Obwohl zwischen Verteidigern, Staatsanwälten und Richtern die Strafen nahe der Wohlfühlzone ausgehandelt worden waren, wurde anschließend Revision eingelegt. 2024 geht es also in die nächste Runde.

Volkswagens früherer Konzernchef Martin Winterkorn soll Mitte Februar 2024 als Zeuge im Musterverfahren von Anlegern im Dieselskandal gegen VW und die Dachholding Porsche SE vernommen werden. Das Landgericht Braunschweig nahm am 28. Dezember 2023 das Verfahren wegen des Verdachts der Marktmanipulation wieder auf. Auch Winterkorns Nachfolger Matthias Müller und Herbert Diess sollen Anfang 2024 in der Sache als Zeugen aussagen.

Auch Ford hat ein Jahr wechselnder Eindrücke hinter sich. Absehbar wird im Programm kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Fiesta und Mondeo sind ebenso Geschichte wie die Vans, der Focus bekommt in dieser Form keinen Nachfolger. Eigentlich sollte das neue batterieelektrische SUV Explorer bereits auf dem Markt sein, doch seine Einführung verschob sich auf das Jahr 2024. Es ist zum Erfolg verdammt, sonst hat die Marke Ford in Europa ein noch größeres Problem als ohnehin schon. In Köln wurde zwar ein neues Werk eingeweiht, doch fast 4000 Jobs sollen in Europa perspektivisch wegfallen.

Jahresrückblick 2023 (20 Bilder)

Mit dem Ford Mustang Mach-e geschah 2023, worauf viele elektroaffine Kunden gerade sehnlich warten: Er wird weniger teuer. Serienmäßig bietet er unterstütztes Fahren auf der Autobahn auf Level 2+. 91 kWh Batteriekapazität sind zwar auf der üppigeren Seite, doch ist auch der Verbrauch recht hoch. Leider fehlt eine Batterievorkonditionierung.
(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Positive Schlagzeilen machen derweilen andere. Stellantis will ab 2023 mit dem ë-C3 ein Elektroauto für 23.300[ ]Euro in den Handel bringen, und eine Version für weniger als 20.000 Euro soll folgen. Renault plant in einer ähnlichen Dimension den batterieelektrischen R5. Der nächste Twingo könnte ihn sogar noch unterbieten. Bei Volkswagen wird es noch dauern, bis 2025 ein Nachfolger des 2023 eingestellten VW e-Up vorgestellt wird. Bis dahin hat der Konzern Kunden, die gern elektrisch fahren willen, deutlich unter 40.000 Euro nichts anzubieten. Immerhin verspricht der kommende VW ID.2all in der Gestaltung jenen Konservativismus, mit dem der Konzern in der Vergangenheit so erfolgreich war. Genau das drückt übrigens auch die Formensprache der Neuvorstellungen von VW und Skoda in diesem Jahr aus: VW ID.7, Passat, Tiguan, Skoda Kodiaq und Superb eint, dass sie stilistisch niemanden verschrecken.

Über das Jahr hinweg begleiteten die Redaktion etliche Testwagen. Es ist subjektive Entscheidung, welcher den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen hat. Nicht das beste Auto gewinnt diese Wertung automatisch, sondern das überraschendste. Dabei sind die Präferenzen jedes Kollegen natürlich verschieden. In diesem Jahr aber waren wir uns recht schnell einig. Doch der Reihe nach.

Mercedes GLC und EQE lösten bei mir trotz SUV-Format einen spontanen Willhaben-Effekt aus. Die Testwagen mit Listenpreisen von 90.000 bzw. 127.000 Euro bringen allerdings eine solide Barriere für Normalverdiener mit. Der BMW[ ]i7 gehört zu den leisesten Autos, in denen ich je fuhr. Formal polarisiert er nochmals mehr als X1 und iX1. Was das Fahren aber anbelangt, gehörten die Modelle von BMW zu den besten Testwagen des Jahres. Ein i5 untermauerte dies nachdrücklich.

Auch der ID.3 machte deutlich, dass der Volkswagen-Konzern keineswegs vergessen hat, welche Tugenden ein Auto haben muss, damit es sich angenehm fährt. Leise und mit geschickt angestimmtem Fahrwerk könnte er die Nachfolge des Golfs antreten, was bislang nicht gelungen ist. Bei der Software dürfen wir bescheinigen: Die Spitze hat er nicht im Visier, doch VW scheint zumindest auf dem richtigen Pfad zu sein. Chinesischen Herstellern wird diesbezüglich eine hohe Kompetenz zugewiesen. Der (oder die?) Ora Funky Cat blieb allerdings als übergriffiges Plappermaul mit unmöglicher Bedienung in Erinnerung.

Schlussendlich fuhren sich drei sehr unterschiedliche Modelle in die Herzen der Redaktion. Die hinreißend schöne Alfa Romeo Giulia trumpfte mit klassischen Werten der Marke auf und sprach jene heftig an, für die ein Auto mehr als nur Transportmittel ist. Alte Schule, gewissermaßen, denn die Giulia bewahrt sich, was Alfa-Fans erwarten. Sie fährt so fantastisch, wie sie aussieht. Angesichts der Zulassungszahlen muss man befürchten, dass diese großartige Limousine keinen Nachfolger bekommen wird. Testwagen des Jahres konnte die Giulia nicht werden, weil wir erwartet haben, was Alfa letztlich lieferte.

Alfa Romeo hat die Giulia überarbeitet, aber nicht verwässert. Sie liefert, was der Markenkern verspricht.

(Bild: Pillau)

Der leise, feudal ausgekleidete, blitzschnell ladende und bärenstarke Genesis GV70 Electrified bringt ein Gesamtpaket mit, das für diesen Preis nicht viel Konkurrenz hat. Fünf Jahre Rundum-Verhätschelung sind inkludiert, was in vergleichbarem Umfang bei der Konkurrenz, sofern überhaupt zu haben, ein paar Tausender extra kostet. Stünde ich vor der Wahl, der angesprochene, für sich betrachtet exzellent fahrende Mercedes GLC hätte keine Chance. Das Format SUV kommt privat für mich nicht infrage. Sollte sich meine Ansicht ändern und mich ein Geldsegen ereilen, wäre der GV70 als Elektroauto ziemlich weit oben auf der Liste denkbarer Kandidaten.

Letztlich aber fiel die Wahl des Testwagens der heise/Autos-Redaktion auf den Fiat 500E als Cabrio. Sicher, er ist für ein Auto dieser Größe geradezu absurd teuer – für dieses Geld ist selbst ein Tesla Model 3 in Reichweite. Er fährt weder schnell noch weit, tut dies aber herzerwärmend. Ist sein großes Rollverdeck komplett zurückgefahren, sitzt man gefühlt im Freien. In Kombination mit dem E-Motor ergibt das ein Fahrgefühl, bei dem wir uns auch ein halbes Jahr später wundern, dass das Schließen dieser Marktlücke praktisch allein Fiat einfällt. BMW hat eine kleine Auflage eines elektrischen Mini-Cabrios produziert, die trotz eines vollkommen irren Preises rasch ausverkauft war. Vielleicht bringt das kleine Cabrio ja Bewegung in den Markt.

(mfz)