EU-Datenraum: Gesundheitsministerium will sich weiter für Opt-out einsetzen

Die an den Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen Beteiligten stellten auf der Medizindaten-Tagung ihre Pläne vor und beantworteten auch kritische Fragen.

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Futuristisches Bild zu Gesundheitsdaten. Zu sehen ist ein Finger von Krankenhauspersonal auf einem Tablet.

(Bild: sdecoret/Shutterstock.com)

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Der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und Mediziner Prof. Karl Broich stellte auf der Eröffnungsveranstaltung des Zentrums für Medizinische Datennutzbarkeit und Translation (ZMDT) weitere Details und Projekte zu Gesundheitsdatenplänen vor. Zentral auf nationaler Ebene ist das sich noch im Aufbau befindenden Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit. Datensilos sollen sich künftig nicht nur innerhalb von Deutschland, sondern auch EU-weit auswerten lassen. Dazu soll es künftig einen digitalen und transparenten Antragsprozess beim FDZ geben, virtuelle Analyseräume und die digitale Übermittlung von Ergebnissen.

Bereits vorhanden sind die Abrechnungsdaten aller gesetzlichen Krankenkassen, wogegen Betroffene bereits geklagt hatten. Das Sicherheitskonzept des FDZ Gesundheit ist jedoch noch nicht final, ebenso wie die Spezifikationen für die Ausleitung der Daten aus der elektronischen Patientenakte an das Bundesinstitut. Nach den Abrechnungsdaten sollen unter anderem Krebsregisterdaten im FDZ gesammelt werden, dazu müssen die Daten interoperabel und standardisiert sein.

Broich zufolge ist die Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten auf Basis von Sekundärdaten "rasant gestiegen". Mit dem Projekt "KI-FDZ" sollen Künstliche Intelligenz und sichere Gesundheitsdatennutzung ermöglicht werden. Eine wichtige Rolle dabei spielen laut Broich die Anonymisierung, Synthetisierung und sichere Verarbeitung von Real-World-Daten. Dazu gibt es das Anfang 2023 gestartete Forschungsprojekt "Real4Reg", mit dem Ziel, unter anderem regulatorische Entscheidungen über Arzneimittel zu verbessern.

Real4Reg ist ein Konsortium aus zehn EU-Institutionen, die mithilfe von Realdaten aus Gesundheitsregistern und weiteren, regulatorische Entscheidungen über Arzneimittel fördern soll. Dabei sollen KI und maschinelles Lernen zum Einsatz kommen. Dazu sei die Hilfe von Fachexperten von Fraunhofer-Instituten und Universitäten erforderlich, so Broich.

Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und das Europäische Netzwerk für Arzneimittelregulierung haben dazu 2021 begonnen, ein Koordinierungszentrum einzurichten, auch Data Analysis and Real-World Interrogation Network (DARWIN) genannt.

DARWIN soll zunehmend mehr Datenquellen verknüpfen

(Bild: European Medicines Agency)

Das Projekt soll Gesundheitsdatenbanken in der gesamten Europäischen Union bereitstellen, um die Sicherheit von Arzneimitteln, einschließlich Impfstoffen zu verbessern. Für 2025 ist geplant, DARWIN ebenfalls mit dem EHDS zu verknüpfen.

Im Gesundheitswesen fallen, so Dr. Verena Kurz vom Referat "Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung" vom Bundesgesundheitsministerium, bereits viele verschiedene Daten an, das hat auch die EU-Ratspräsidentschaft 2020 erkannt und daraufhin die Initiative für einen gemeinsamen Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) ergriffen. Einer von neun Datenräumen, die in der EU entstehen sollen. "Wir hoffen, dass das ein Erfolgsmodell wird und ein gutes Beispiel, wie man Datennutzung auch europäisch gut standardisieren und vereinheitlichen kann", so Kurz.

Datenquellen für den EHDS

(Bild: BMG)

Die Patienten sollen mit dem EHDS laut BMG Zugang und Kontrolle über ihre Daten erhalten. Dafür soll die Dateninfrastruktur "MyHealth@EU" aufgebaut werden – einige Mitgliedsstaaten sind dort bereits angeschlossen.

Für die Sekundärdatennutzung, zur "Nachnutzung von Daten", soll die europäische Dateninfrastruktur "HealthData@EU" zum Einsatz kommen. Dann können Forscher oder Industrievertreter nach Antragstellung – wobei der Zweck entscheidend ist – Zugang zu Daten bei der nationalen Datenzugangsstellen erhalten, hierzulande beim BfArM angesiedelt. Re-Identifikation ist strafbar, für Datenschutzverletzungen sind hierzulande Strafen vorgesehen. Das BMG setzt sich laut Kurz weiterhin für das Forschungsgeheimnis ein.

Ob und wie das Opt-out für die Sekundärdatennutzung aussieht, wird sich in den nächsten zwei Wochen nach den Trilogverhandlungen zeigen. Zumindest bei Genomdaten, so Kurz, sei man sich einig, diese nur nach ausdrücklicher Einwilligung (Opt-in) in den EHDS fließen zu lassen. Auf die Frage nach einer optionalen Öffnungsklausel für einen deutschen Alleingang mit Opt-out-Möglichkeit antwortete Kurz: "Die Fassung, auf die wir uns im Rat, also unter den Mitgliedstaaten geeinigt hatten, sieht genau das vor". Das Europäische Parlament habe da eine etwas strengere Haltung, sagte Kurz. Demnach soll es in allen Mitgliedstaaten die gleichen Rechte für Patienten geben. Einige Mitgliedsstaaten seien zudem der Ansicht, die Datenqualität werde massiv geschwächt, wenn nicht alle Staaten Daten liefern. Das BMG teile diese Ansicht jedoch nicht, versicherte Kurz.

Die technische Ausgestaltung für die deutsche Umsetzung ist bereits in Arbeit, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Veranstaltung erneut betonte, auch wenn der EHDS noch nicht verabschiedet ist. Eine Herausforderung dabei ist die Standardisierung der Daten, unabhängig davon, ob bereits interoperable Datenaustauschformate etabliert wurden. Das sieht auch Nick Schneider so, der Leiter des Referats "Grundsatzfragen neue Technologien und Datennutzung" im Bundesgesundheitsministerium. "Noch keine strukturierten Daten in der elektronischen Patientenakte? Da bin ich ganz bei Herrn Kelber", sagte Schneider. Dieser hatte in einem vorherigen Vortrag auf der ZMDT kritisiert, dass in der ePA lediglich Dokumente vorhanden sind.

Darüber, wie mit Datenintegrität Vertrauen geschaffen und die Gesundheit gefördert werden könne, hatte Schneider zusammen mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Prof. Jochen Lennarz ein Paper veröffentlicht. Eine Schwierigkeit, mit der Deutschland aktuell zu tun habe, sei unter anderem die mangelnde Datenverfügbarkeit in Deutschland.

Herausforderungen bei der Datennutzung

(Bild: BMG)

Israel habe bereits Daten von seinen Bürgern ab deren Geburt. Wichtig sei bei den gesamten Vorhaben vor allem eine rechtssichere Umsetzung. Mit dem ZMDT könne man wichtige Aufklärung leisten und auch den Dialog zwischen Praxis und Politik ermöglichen. Das Motto dabei: "Daten nutzen, Menschen schützen".

Bezüglich der Forschungspläne kam abschließend die Frage auf, wie Patienten über Forschungsprojekte, in denen ihre Daten zum Einsatz kommen, informiert werden sollen. Im Forschungsdatenzentrum wurde allerdings eine Pseudonymisierung gewählt, die bewusst nicht zurückverfolgbar ist. Eine individuelle Information ist nicht vorgesehen. Lediglich bei den Krebsregisterdaten sehe das anders aus, so Schneider: "Bei den Krebsregistern kann es ja sein, dass in den Daten dann wir den Betroffenen wieder informieren müssen über irgendwas, was da gefunden wird [...]. Aber im Gesamtsystem ist der Weg erst mal bei uns nicht so angelegt, dass er zurückverfolgt werden kann". Die Patienten werden lediglich über die aggregierten und kumulierten Ergebnisse informiert.

Eine weitere Frage betraf die Anbindung von lokalen Biobanken im Kontext der aktuellen weltpolitischen Lage. "Das Thema Biobanken beschäftigt uns auch in Brüssel bei den EHDS-Verhandlungen, wobei es da vor allem wieder um die Daten aus den Biobanken geht". Der Ansatz dabei sei, dass die Abfrage zu den Daten geht und nicht die Daten über die Grenze. "Die Daten [sollen] vor Ort in den einzelnen Mitgliedsstaaten bleiben, um diese ganze Heterogenität der unterschiedlichen Gesundheitswesen nicht zu sehr aufzubrechen", so Schneider. Insgesamt seien einige Detailfragen zur Umsetzung noch ungeklärt.

Darüber hinaus gab es auch Rückfragen zur Erhöhung der Speicherdauer der Gesundheitsdaten im Forschungsdatenzentrum von 30 Jahren auf 100 Jahre. Für die 100 Jahre hatte sich das Gesundheitsministerium laut Schneider an der mittleren Lebensdauer eines Menschen in Deutschland orientiert. Viele Auswirkungen würde man erst viele Jahre später erkennen können, daher war die bisherige Begrenzung zu eng. Als Beispiel nannte er die Tschernobyl-Katastrophe, "die Auswirkungen sieht man erst deutlich später".

Die Gründe für die Datensammlung liegen nicht nur in der Forschung, die Daten sollen auch für politische Zwecke genutzt werden und um KIs zu trainieren. Auf die Fragen, ob das nicht einer Vorratsdatenspeicherung im Gesundheitswesen gleich komme und ob es da nicht Probleme mit dem Bundesverfassungsgericht gibt, zeigte sich Schneider unbesorgt. Zum Verfassungsgericht wolle man mutig gehen.

(mack)