Fachkräfte-Zuzug: Wirtschaft und Politik uneins über die "Blue Card"

Bis auf die Grünen zeigen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien gegenüber den Vorschlägen der EU-Kommission für einen vereinfachten Zuzug von Fachkräften aus Drittländern vorwiegend skeptisch.

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Die Reaktionen auf die gestern von der EU-Kommission präsentierten Vorschläge für eine einheitliche Regelung zur Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften zeigen erneut die Front auf, die sich in Deutschland angesichts des vielbeschworenen Fachkräftemangels auftut: Auf der einen Seite begrüßen Vertreter aus der Wirtschaft einhellig die Vorschläge des Innenkommissars Franco Frattini für eine "Blue Card", aus fast allen im Bundestag vertretenen Parteien wird auf der anderen Seite Kritik laut.

Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) lehnt die EU-Pläne ab. Deutschland habe in Sachen Zuwanderung Hochqualifizierter eigene Pläne, sagte sie der Passauer Neuen Presse. Für sie haben Bildung und Weiterbildung im Inland Vorrang. Dabei verwies die Ministerin auf die von ihr geplante Qualifizierungsoffensive, die am 14. November von der Bundesregierung abgesegnet werden soll.

Der Sprecher der FDP-Fraktion für Ausländerrecht, Hartfrid Wolff, begrüßt eine EU-weite Diskussion über die Zuwanderung von Hochqualifizierten und Fachkräften. Er tritt aber dafür ein, dass die Regelungen dazu in den Mitgliedsstaaten und nicht in Brüssel erarbeitet werden müssen. "Die Bedürfnisse der Mitgliedsstaaten sind sehr unterschiedlich. Zudem stehen sie untereinander in Wettbewerb um die besten Kräfte", so Wollf.

Die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen findet die Abwehrreaktionen der Regierungsparteien "kleinlich und peinlich". Sie zeigten, dass die Bundesregierung kein Konzept für eine vernünftige und zukunftstaugliche Regelung der Arbeitsmigration habe. Die Europäische Kommission zeige aber "Problembewusstsein, Realitätssinn und Weitsicht". Ausländische Fachkräfte werden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels immer dringender gebraucht. Wegen abschreckender Bedingungen machen Fachkräfte heute einen weiten Bogen um Europa. Deshalb sei es Zeit, zu handeln.

Dies sind Argumente, die auch Kommissionspräsident José Manuel Durão Barroso gestern zur Vorstellung des Blue-Card-Konzepts vorgebracht hat. Er stellte die rhetorische Frage, warum derzeit hochqualifizierte Fachkräfte eher nach Australien, Kanada oder in die USA auswanderten als nach Europa. Das liege erstens an den 27 unterschiedlichen, sich auch widersprechenden Regelungen in Europa. Zweitens werde ihnen der Wechsel innerhalb der EU in ein anderes Mitgliedsland erschwert, und drittens seien Immigranten nicht mit EU-Bürgern gleichgestellt. Das wolle die Kommission ändern.

Die Vorschläge der Kommission wurden bereits gestern vom Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) sowie vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßt, heute gesellt sich der Verein Deutscher Ingenieure hinzu. Er teilt mit, die EU-Kommission verfolge den richtigen Ansatz. Es sei richtig, dass die Europäische Kommission die Entscheidung, wie viele Arbeitskräfte aus Drittstaaten aufgenommen werden, den Mitgliedsstaaten selbst überlassen will. "Damit ist eine nachfrageorientierte Arbeitsmarktpolitik möglich, die mit einem vom VDI seit Längerem geforderten genaueren Monitoring des Arbeitsmarktes einhergehen muss", meint der VDI.

Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) sieht in der Blue Card "ein wichtiges Instrument zur Linderung des Fachkräftemangels im Hightech-Sektor". Die Bundesregierung sollte nach Meinung des Bitkom-Präsidenten August-Wilhelm Scheer die Pläne der EU-Kommission aktiv unterstützen. Der Verband rechnet vor, dass es derzeit rund 40.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte gebe. 62 Prozent der ITK-Unternehmen hätten bei einer Umfrage angegeben, dass der Fachkräftemangel ihre Geschäftstätigkeit bremst.

Für Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, widersprechen die EU-Vorschläge den Grundsätzen linker Migrationspolitik. Sie müsse vor allem der Gefahr von Ausbeutung und Menschenhandel vorbeugen und soziale Rechte durchsetzen, heißt es in der Linkszeitung. Frattinis Vorschlag hingegen fuße auf ökonomischen Nutzen-Erwägungen. Es gehe dabei um die Anwerbung "nützlicher" Migrantinnen und Migranten, die nur so lange geduldet würden, wie sie gewinnbringend seien.

Zu den gegenwärtigen Klagen vieler Branchen und besonders der IT-Firmen über Facharbeitermangel sowie den Ansprüchen der Informatikabsolventen siehe auch:

  • In Aufbruchstimmung, Ansprüche der Informatikstudierenden an die Berufswelt, c't 21/07, S. 97
  • Gefühlter Mangel, Wie viele Informatiker braucht die Wirtschaft?, c't 16/07, S. 78

Zu dem Thema siehe auch:

Siehe auch:

  • heise jobs, Stellenanzeigenbörse sowie aktuelle Berichterstattung und Hintergrundartikel zum Arbeitsmarkt, der Ausbildungssituation und den Gehaltsstrukturen der Hightech-Branchen

(anw)