Google: "Datenschutzverletzung ist kein Schaden" – US-Gericht widerspricht

Google sammelt auch in Inkognito-Browsern Daten. Dagegen prozessieren 5 Betroffene seit 2020. Der Kampf um Zugang zu Geschworenen ist hart.

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Screenshot: "Sie können jetzt privat surfen", verspricht der Inkognito-Modus von Google Chrome.

Google macht in seinem Chrome-Browser irreführende Aussagen. Betroffen sind aber auch User anderer Browser.

(Bild: Google)

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Trotz Inkognito-Modus des Browser überwacht Google Internetnutzer, bildet Profile und verwertet die dabei gesammelten Daten. Einige Betroffene versuchen seit drei Jahren vor Gericht zu erreichen, dass Google damit aufhört. Der Datenkonzern wehrt sich mit Händen und Füßen. Zunächst versuchte Google, die Klage als unzulässig und unbegründet zurückweisen zu lassen, was 2021 bei Gericht kein Gehör fand. Dann beantragte Google mit gleichartigen Argumenten ein Schnellurteil zu seinen Gunsten: Die Betroffenen dürften gar nicht klagen, außerdem hätten sie der Überwachung eindeutig und ausdrücklich zugestimmt. Sie dürfen klagen, und sie haben wohl nicht zugestimmt, sagt das Gericht. Schnellurteil gibt es keine, Google soll sich einem Prozess stellen; dann werden Geschworene entscheiden, was wirklich Sache ist.

Das Verfahren wird zur Hälfte als Sammelklage geführt, zur anderen Hälfte nicht: Die fünf Kläger fordern neben Schadenersatz auch Unterlassung der Überwachung durch Google im Incognito-Modus des Browsers. Steine des Anstoßes sind verschiedene Google-Programme für Webseitenbetreiber, darunter der Ad Manager und Google Analytics, die laut Gerichtsentscheidung auf über 70 Prozent aller Webseiten laufen. Diese Google-Programme weisen Browser, die die Webseite aufrufen, an, bestimmte Informationen direkt vom Endgerät des Users an Google zu senden – selbst wenn der Browser im Inkognito-Modus läuft.

Zu diesen Daten zählen die IP-Adresse des Endgeräts, die aufgerufene Adresse (URL), die Referer-Adresse (von welcher anderen Seite der User auf die Webseite gesurft ist), der User-Agent des Browsers, der Informationen über Betriebssystem und Browser enthält, Ereignisinformation, beispielsweise welche Reklame dem User vorgesetzt wurde oder welche Videos gelaufen sind, etwaige Suchbegriffe und, falls verfügbar, der Aufenthaltsort des Users. Betroffen sind sowohl Googles marktführender Browser Chrome als auch andere Browser.

Dabei hat der Konzern bezüglich Chrome ab 2016 versprochen, im Inkognito-Modus die Daten nicht zu sammeln. Gleichzeitig unterlässt es Google, jene Webmaster über die heimliche Datensammelei zu informieren, die Code für Google Analytics, den Ad Manager oder vergleichbare Angebote in ihre Webseiten einbauen. Die gesammelten Daten ermöglichen Google, Werbeplatzierungen genauer auf die User zuzuschneiden, was Google mehr Geld einbringt. Dieser Sachverhalt ist nicht umstritten.

Durch die Datensammlung und -auswertung verhindert Google, dass die User ihre Daten selbst zum eigenen Profit verwerten, hält das zuständige Bundesbezirks fest. Dass das möglich ist, habe Google selbst unter Beweis gestellt: Im Rahmen eines Feldversuchs zahlte Google Teilnehmern drei Dollar pro Woche für deren Browserdaten. Außerdem sei in Verfahren gegen Facebook wegen heimlichen User-Trackings bereits entschieden worden, dass Browser-Histories finanziellen Wert haben.

Den Antrag, das Verfahren als Sammelklage zu führen, hat das Gericht nur zum Teil genehmigt: Die Klage auf Unterlassung wird als Sammelklage für alle Betroffenen US-Netizens geführt; das Begehr nach Schadenersatz hingegen muss jeder Betroffene selbst einklagen, weil die Umstände und damit die Höhe des Schadenersatzes zu individuell seien. Damit wird es in diesem Verfahren wohl zu keinem Urteil in Milliardenhöhe kommen. Doch schon eine Pflicht zur Unterlassung der Überwachung im Inkognito-Modus würde Googles Einnahmen in Milliardenhöhe schmälern.

Google argumentierte, eine der Voraussetzungen für den Klagevorwurf des Vertragsbruchs sei konkret eingetretener Schaden (concrete harm), was nicht gegeben sei. Doch das Gericht erachtet den von den Klägern behaupteten Vertragsbruch als hinreichend. Was den Vorwurf des Eindringens in die Privatsphäre angehe, seien die Kläger ebenfalls klageberechtigt. Denn entgegen Googles Darstellung sei die Datensammlung nicht anonym: Obwohl die einzelnen Datenpunkte nicht mit Namen gekennzeichnet sind, bildet Google daraus Profile – und diese seien mit hoher Wahrscheinlichkeit einzelnen Usern zuordenbar. Die Daten hätten auch Marktwert, und jeder der fünf Kläger fordere Schadenersatz. Zudem dürfen sie auf Unterlassung klagen, da Google keine Anzeichen gegeben habe, sein Verhalten zu ändern.

Außerdem behauptet Google, die User hätten durch Annahme der Datenschutzbestimmungen der Datensammlung im Inkognito-Modus explizit zugestimmt. Doch erwähnt der Vertragstext den Inkognito-Modus nur einmal, und das im Zusammenhang mit dem Management der Privatsphäre durch den User selbst. Darüber hinaus hätten die Kläger Beweise vorgelegt, wonach Googles eigene Mitarbeiter wussten, dass User die Datenschutzauswirkungen des Inkognito-Modus überschätzen. Im Ergebnis sei nicht klar, dass die User der Datensammlung ausdrücklich zugestimmt hätten. Damit kann es auch hier kein Schnellurteil zugunsten Google geben.

Umstritten ist auch, welche Google-Texte Teil der zwischen Google und Endusern geschlossenen Verträge sind, welche von Googles Zusagen rechtlich bindend und durchsetzbar sind, ob die Webseitenbetreiber der Datensammlung zugestimmt haben, ob die Userüberwachung für den Betrieb der Webseiten notwendig ist, welche abgegriffenen Daten als Inhalt oder als Metadaten zu werten sind, welche an Google übermittelten Daten überhaupt rechtlich geschützt sind, ob die durch Googles Code ausgelösten Datenübertragungen Google zuzurechnen sind oder den Webseitenbetreibern, ob die Daten Wert haben und ob die User im Sinne unterschiedlicher Gesetze konkret geschädigt werden, sowie ob die User überhaupt Datenschutz hätten erwarten dürfen oder ob Googles Verhalten als anrüchig (highly offensive) einzustufen ist. Weil das alles keineswegs eindeutig zugunsten Google spreche, können kein Schnellurteil für Google gefällt werden, hat das Gericht entschieden.

Die Geschworenen werden also viel zu entscheiden haben. Das Verfahren heißt Brown et al v Google et al und ist am US-Bundesbezirksgericht für das Nördliche Kalifornien unter dem Az. 20-cv-03664 anhängig.

(ds)