Nawalny-Witwe & Co.: X-Lobbychef müht sich um Klärung mysteriöser Konten-Sperren

Nick Pickles, Leiter der Regierungsbeziehungen bei X, hat im Bundestag versucht, Digitalpolitikern Hintergründe ungewöhnlicher Account-Blockaden zu erläutern.

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Das Logo von X auf dem Dach der Firmenzentrale im Tageslicht

(Bild: Larry Zhou/Shutterstock.com)

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Die zeitweilige Sperre des X-Accounts von Julia Nawalnaja, der Witwe des in Haft verstorbenen russischen Kreml-Kritikers Alexej Nawalny, im Februar war in dieser Woche Thema im Digitalausschuss des Bundestags. Das Konto der Aktivistin sei nicht willkürlich blockiert worden, versicherte Nick Pickles, Leiter der Regierungsbeziehungen des einst als Twitter bekannten US-Konzerns von Elon Musk, den besorgten Abgeordneten. Vielmehr habe es eine Reihe verdächtiger technischer Signale gegeben, die zu dem Schritt geführt hätten.

Auf dem erst am Vortag eingerichteten Profil von Nawalnaja erschien am 20. Februar der Hinweis: "Konto gesperrt. X sperrt Accounts, die unsere Regeln verletzen". Die neue Nutzerin hatte zuvor Russlands Präsident Wladimir Putin für den Tod ihres Mannes in einem russischen Straflager verantwortlich gemacht. Sie kündigte an, Nawalnys Arbeit fortführen zu wollen. Kurz vor ihrer Blockade schrieb Nawalnaja auf dem Netzwerk: "Es ist mir völlig egal, was der Sprecher des Mörders zu meinen Worten sagt." Kreml-PR-Chef Dmitri Peskow wies ihre Aussagen als "unflätig" zurück. Der von Nawalny gegründete Fonds zur Bekämpfung der Korruption postete kurz nach der Sperrung auf X einen Appell an Inhaber Musk: "Bitte erklären Sie genau, welche Regeln von @yulia_navalnaya gebrochen wurden." Etwa eine Dreiviertelstunde später war der Account wieder freigeschaltet.

Wenn Systeme zu dem Schluss kämen, dass ein Profil gegen die Vorschriften verstoße, handele X, erläuterte Pickles nun den Parlamentariern. Angesichts der Masse an Angriffen brauche es Verteidigungslinien, die teils automatisiert griffen. Eine der größten Sorgen des Unternehmens sei es, dass die wachsenden Möglichkeiten von Technologien mit Künstlicher Intelligenz das Erstellen einer großen Anzahl von Fake Accounts erleichterten. X werde daher weiterhin algorithmische Entscheidungssysteme im Kampf dagegen einsetzen müssen.

Zu den konkreten Auslösern, die zu einer Sperrung führen, wollte sich Pickles nicht äußern. Als allgemeine Beispiele nannte er nur, dass etwa die IP-Adresse oder das genutzte Gerät geprüft würden. Zuvor hatte es geheißen, der Abwehrmechanismus der Plattform gegen Manipulation und Spam habe bei Nawalnaja einen Regelverstoß markiert. Man sei sich bei der händischen Überprüfung der Bedeutung des Accounts bewusst gewesen, führte Pickles aus. Im Nachgang habe X die Prozesse verbessert, um die Echtheit eines Kontos zu überprüfen. Bei Accounts von Prominenten solle es nun eine zweite Kontrolle geben. Dafür entscheidend sei, wie groß das Konto sei beziehungsweise wie viele Follower es habe. Eine Frage aus der AfD-Fraktion, ob Musk bei der Entsperrung interveniert habe, verneinte der Lobbychef.

Die Abgeordneten hakten wiederholt wegen potenzieller weiterer Vorsorgemaßnahmen des Unternehmens, der Zunahme von Bots und unauthentischen Konten und einem Mangel an menschlichen Content-Moderatoren bei der Plattform nach. Darauf antwortete Pickles nur, man orientiere sich an der Anzahl der Nutzer und den verfügbaren Daten zu Risiken.

Konkrete Zahlen zu Sperrungen und der Wiederfreigabe von Accounts – etwa auch von Nutzern, die sich kritisch über Musk äußerten – oder zur Fehlerquote bei der menschlichen und automatischen Content-Moderation konnten Pickles und weitere zugeschaltete Unternehmensvertreter nicht nennen. Entsprechende Angaben wollten sie aber nachreichen. Auch zu der im Digital Services Act (DSA) vorgesehenen Transparenzdatenbank zu Nutzerbeschwerden zu illegalen Inhalten und den im Vergleich zu anderen sozialen Netzwerken niedrigen einschlägigen Zahlen machten sie zunächst keine Angaben. Wiederholt hoben sie hervor, X werde den DSA einhalten und den europäischen Markt nicht aufgeben.

Die Ausschussvorsitzende Tabea Rößner von den Grünen betonte, es brauche niedrigschwellige Möglichkeiten für die Nutzer, mit dem Unternehmen in Kontakt zu treten. Jeder User könne etwa per E-Mail oder im Hilfe-Center Beschwerde gegen jede Entscheidung einlegen, entgegnete Pickles. Auf die Frage nach dem Thema Meinungsfreiheit betonte er, freie Meinungsäußerung und die Sicherheit der Plattformen müssten nebeneinander bestehen können. Es sei wichtig, dass der DSA nicht zu Zensur führe.

Angesprochen auf die Aspekte Einflussnahme, Agenda-Setting und Wahlbeeinflussung antwortete der X-Lobbyist, man sei sich dieser Risiken sehr bewusst. Seit dem Israel-Hamas-Krieg habe man über 780.000 Inhalte wegen Verletzung der hauseigenen Richtlinien entfernt. Mit Blick auf die anstehende Europawahl müssten alle Seiten auf verschiedensten Ebenen zusammenarbeiten, um Abhilfe zu schaffen. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) plant derweil mit einem Gesetz gegen digitale Gewalt staatliche Konto-Sperrungen für Hetzer.

Thomas Jarzombek (CDU) nahm aus der Sitzung mit: X-Vertreter seien sich der Schwelle an Nutzern, die zu einer zweiten Überprüfung führt, nicht bewusst. Der Plattformbetreiber habe "keine Ahnung, was politisch exponierte Accounts sind, und er würde sie auch nicht anders behandeln als alle anderen". Dies gelte auch für Konten mit jüdischem Hintergrund. Alle Informationen zu zuvor zertifizierten Konten würden gelöscht und vor einer Sperrung nicht noch einmal herangezogen. Maximilian Funke-Kaiser (FDP) bezeichnete die Anhörung als "Reinfall". Da die Gesprächspartner nicht vor Ort gewesen seien, hätten die Erwartungen schon niedrig gelegen. Der Liberale beteuerte: "Das war das letzte Mal, dass das so abläuft."

(nie)