PayPal, Spotify & Co.: Die Massenkündigungen im Techbereich gehen weiter

2023 ging in die Geschichte der großen Big-Tech-Entlassungen ein, doch in diesem Jahr geht die Kündigungswelle weiter. Maßgeblicher Auslöser ist KI.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 17 Kommentare lesen
Entlassener Angestellter mit Habseligkeiten in Papierbox

(Bild: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Nils Jacobsen
Inhaltsverzeichnis

Mark Zuckerberg kann für sich beanspruchen, alles richtig gemacht zu haben, zeigt sich jetzt. Mehr als ein Jahr ist es her, als der Meta-Chef 2023 zum "Jahr der Effizienz" ausrief. Der 39-Jährige, der die erste Entlassungswelle im November 2022 zerknirscht auf seine Kappe nahm, entließ zwischen Ende 2022 und Mitte 2023 mehr als 21.000 Mitarbeiter.

"Meta funktioniert als schlankere Firma besser", kommentierte Zuckerberg die rigorosen Kündigungsmaßnahmen – und hat damit einen Punkt. Nie entwickelten sich Metas Geschäfte besser als im abgelaufenen Quartal, als der Social-Media-Pionier einen Umsatzsprung von 25 Prozent auf über 40 Milliarden Dollar und einen Rekordgewinn von 14 Milliarden Dollar vermeldete. Die Folge: Die Meta-Aktie setzte ihre furiose Rallye fort und legte um weitere 20 Prozent zu. Seit der Entlassungswelle Ende 2022 konnte das 20 Jahre alte Social-Media-Konglomerat enorme Wertsteigerungen von in der Spitze 400 Prozent an der Wall Street verbuchen.

Die Kündigungswelle ist die lehrbuchartige Reaktion, nach der Big-Tech-Konzerne ihre Aktionäre nach einem Horror-Börsenjahr 2022 mit Erfolg versöhnten – 2023 stiegen die Notierungen fast aller Techaktien dank verschlankter Bilanzen deutlich an. Im vergangenen Jahr verloren 260.000 Mitarbeiter in der Technologiebranche in den Vereinigten Staaten ihren Job – ein deutlicher Anstieg von 160.000 Entlassungen gegenüber dem Jahr zuvor.

Allein im Januar wurden nun bereits 35.000 Kündigungen im Techsektor in den USA ausgesprochen, wie der Finanzinformationsdienst The Kobeissi Letter dokumentiert hat. Vor allem betroffen ist dieses Mal die zweite Reihe der Tech-Konzerne: Bezahldienstleister Paypal kündigte 9 Prozent der Belegschaft (2500 Jobs), der frühere Mutterkonzern eBay wiederum entließ 1000 Mitarbeiter (ebenfalls 9 Prozent), bei Snapchat verloren 500 Mitarbeiter ihre Beschäftigung (10 Prozent), Streaming-Marktführer Spotify stellte gar 17 Prozent seiner Arbeitskräfte frei (1500 Jobs), während bei Amazons Livestreaming-Tochter Twitch sogar 35 Prozent der Belegschaft ihren Job verloren (400 Mitarbeiter). Auch Xerox, DocuSign, Okta und Unity Software kündigten vor wenigen Tagen Entlassungsrunden an.

Auf dem Business-Netzwerk LinkedIn füllen sich unterdessen die Gruppen von Entlassenen, die von den Kündigungen im Technologiesektor betroffen sind: "The Tech League" bringt es unterdessen schon auf rund 1200 Mitglieder.

Glaubt man Vorhersagen, ist die Wahrscheinlichkeit weiterer Kündigungswellen im Big-Tech-Segment hoch bis sehr hoch. An der Online-Wettbörse Kalshi werden vor allem bei Alphabet, Amazon und Microsoft die Chancen am höchsten taxiert, dass neue Entlassungen bevorstehen. "Der größte Auslöser liegt in der Automatisierung", erklärt Anna A. Tavis, Professorin an der New York University, im Wall Street Journal die neue Kündigungswelle.

Ebenfalls schwer vom Arbeitsplatzabbau betroffen ist unterdessen der Berufsstand, der über die Entwicklung in der Technologiebranche und anderen Industriezweigen berichtet: Journalisten. Nach Jahren in der Dauerkrise sieht es nun so aus, als würde der immer schwerere Zugang zu Online-Werbebudgets, nachhaltig sinkender Traffic bei Google und auf Social Media verbunden mit dem Siegeszug von Künstlicher Intelligenz wie ChatGPT einen neuen Schwung an Entlassungen auslösen können.

Vor allem Digitalmedien sorgen mit massiven Einsparrunden für Negativschlagzeilen: Einstige Vorzeigemedien wie Business Insider und Vox Media (Re/Code) strichen signifikant Arbeitsplätze zusammen, Vice Media – einst mit 5 Milliarden Dollar bewertet – machte gar eine Bankrotterklärung. Auch Flaggschiffe des US-Journalismus wie die Jeff Bezos gehörende Washington Post, das Time Magazine, die Los Angeles Times, Sports Illustrated und Condé Nast entlassen im großen Stil.

Der gefürchtete Paradigmenwechsel im ChatGPT-Zeitalter scheint damit als selbsterfüllende Prophezeiung bereits einzusetzen: Während der Hype um Künstliche Intelligenz Aktien von Technologiekonzernen an der Wall Street nun in immer größere Höhen treibt, gehen in der Praxis in immer schnelleren Abständen Arbeitsplätze verloren. Das popkulturelle Branchenorgan „Intelligencer“ will gar schon Endzeitstimmung ausgemacht haben und spricht von einer "Medien-Apokalypse": "Verleger starren in den Abgrund".

Auch an Deutschland geht der Trend nicht spurlos vorbei. Laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit stieg die Zahl der arbeitslosen ITler in Deutschland um ein Fünftel an. Die Prognosen, zeitnah einen neuen Job zu finden, stehen demnach jedoch gut.

(emw)