iX 1/2019
S. 88
Report
Extreme IT
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TFlop-Rechner im All

Losgelöst

Standardware für das Weltall – der leistungsstärkste Computer im All besteht erstmals aus Commodity-Hardware und geht nun an Bord der ISS in den Regelbetrieb.

Hohe Leistung zu einem Bruchteil der üblichen Kosten – das verspricht das Konzept Commercial Off-the-Shelf, kurz COTS. Danach sollen der parallele Betrieb mehrerer Computer und trickreiche Software eine ähnliche Ausfallsicherheit wie in der klassischen Raumfahrt-IT erreichen. Denn dort kommen bis heute maßgeschneiderte Chips aus Kleinstserien zum Einsatz. Nun aber, da die NASA auf künstliche Intelligenz für ihre Marsmissionen setzt, braucht sie leistungsstarke, aber ausfallsichere Rechner. Das Spaceborne-Projekt soll ein erster Schritt dazu sein. Ein Jahr lang operierte ein Cluster von HPE und NASA testweise im All. Nun folgt der Regelbetrieb.

COTS ist die Antwort der NASA auf ein ähnliches Konzept des Weltraumunternehmens SpaceX, gegründet vom Tesla-Chef Elon Musk, der einst als Besitzer von PayPal sein Vermögen machte. Seine Raketen sollen so leistungsfähig sein wie die des legendären Raketenbauers Wernher von Braun, nur deutlich preiswerter. Die IT-Branche will nun folgen. Katalogware statt Sonderkonstruktionen mit Spezialbausteinen.

Denn bislang setzte man auf die Produkte hochspezialisierter Kleinstunternehmen, die teilweise im Auftrag großer Rüstungskonzerne arbeiten. Die Stückzahlen sind winzig. Wenn ein Hersteller in vier Jahren 400 Einheiten verkauft, ist das fast schon ein Bestseller. Doch wenn der Rechner auf der Startrampe steht, hinkt er dem Stand der Technik mindestens eine Generation hinterher, war dafür aber zigmal teurer als ein Modell mit vergleichbarer Rechenleistung für den irdischen Gebrauch.

Als Beispiel möge der Einplatinencomputer RAD750 dienen. Der Rüstungskonzern BAE Systems Electronic konzipierte ihn für Einsatzorte mit hohen Strahlungswerten und führte ihn im Jahr 2001 ein. Das erste Exemplar flog 2005 in den Weltraum, also vier Jahre später. Seine CPU gilt mit 10,4 Millionen Transistoren als vergleichsweise leistungsstark, immerhin sind das fast zehnmal mehr als beim Vorgänger RAD6000 mit seinen 1,1 Millionen Transistoren. Getaktet wird die CPU mit 110 bis 200 MHz.

Eine Frage des Preises

In jedem Computershop bekommt man allerdings Prozessoren mit einem Takt im GHz-Bereich. Intels Broadwell-Prozessor etwa verfügt über 1,3 Milliarden Transistoren. Der Spitzenprozessor E7 von Intel bringt es auf über 7,2 Milliarden Transistorfunktionen, und das zu einem Preis von unter 10 000 Dollar. Geradezu ein Schnäppchen für Satellitenbauer. Eine einzelne CPU des Typs RAD750 liegt bei 200 000 Dollar.

Die hohen Kosten begründen die Hersteller mit den langwierigen und teuren Abnahmeverfahren. Dafür garantieren sie das Überleben des Rechners unter den harschen Bedingungen des Weltalls. Warum eigentlich? Das fragen sich Politiker in den USA. Im All schwirren inzwischen Satelliten von Studenten und Funkamateuren herum, und sie funktionieren trotz Mikrometeoriten und ionisierender Strahlung gar nicht schlecht, und das über Jahre hinweg. Beide Gruppen kaufen schon aus Kostengründen ihre Rechenelektronik von der Stange bei großen Elektronikdistributoren. Statt Haute Couture vom Edeldesigner also Prêt-à-porter. Die großen Raumfahrtbehörden tun das nicht.

Bei der NASA gibt es Überlegungen, von der bisherigen Einkaufsstrategie Abstand zu nehmen. Längst sind die Zeiten vorbei, als sich Chiphersteller über Spezialaufträge freuten. Der Profit liegt in großen Stückzahlen und nicht in Sonderkonstruktionen, auch wenn der Kunde vom Design bis hin zur Produktion alle Sonderwünsche bezahlt. Solche Aufträge binden das qualifizierteste Personal und belegen die teuersten Laborräume.

Das Experiment Spaceborne soll nun Nutzen und Risiken aufzeigen. Die NASA ließ dafür zwei identische High-Performance-Rechner von HPE auf die Internationale Raumstation ISS bringen. Damit ist der Xeon-Cluster von HPE der schnellste Rechner, der es bisher in den Weltraum geschafft hat. Mit einer Rechenleistung von einem TFlop/s beginnt im All das Zeitalter des High-Performance Computing und vermutlich auch der KI im Weltall.

Standardhardware anders verpackt

Insgesamt sind vier identische Systeme vom Typ Apollo xx40 an dem Experiment beteiligt. Zwei von ihnen, EBC-1 (Earth-based Computer #1) und EBC-2, blieben auf der Erde, in einem Forschungslabor von HPE. Die Knoten SBC-1 (Spaceborne Computer #1) und SBC-2 flogen im August 2017 zur ISS.