Test BMW F 900 R

BMWs Mittelklasse-Allrounder wird erwachsen – mit einem konkurrenzlosen Ausstattungspaket und einem BMW-untypisch kleinen Basispreis.

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Test BMW F 900 R
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

BMWs 2007 neue F 800 begleitete mich auf meinem ersten Motorrad-Alpentörn. Wie jeder Mensch, jede Maschine mit gemeinsamen Extremerlebnissen hat sie seitdem einen festen Platz in meinem Herzen, obwohl ihr sicher viele Herzigkeit absprechen würden. BMW ließ den Modellen S und ST (Halbschale und Vollschale) später ein Naked Bike folgen (keine Schale), die R. Diese R tritt für 2020 mit knapp 900 ccm namensgebendem Hubraum, 8800 Euro Startpreis, interessantem Hubzapfenversatz und BMW-typisch umfangreichen Ausstattungsoptionen an.

Zu ihrem Test erschien die blaue Maschine jedoch nicht. BMW lieferte sie versehentlich an einen Kollegen in Stuttgart. Der Kollege heißt Axel. Axel gehört zu den Menschen mit unverwüstlich positiver Lebenseinstellung, sodass er statt Jammern und Wehklagen die Option wählte: "Ach, dann fahre ich jetzt mal ein bisschen Motorrad und komme zu dir." Deshalb gibt es zu vielen Aspekten des Motorrads hier zwei Meinungen, die hoffentlich mehr Kundeninteresse abdecken.

BMW F 900 R Standards (4 Bilder)

BMWs Roadster wurde erwachsener, steigt jedoch gleichzeitig tiefer ein beim Einstiegspreis.

(Bild: Axel Griesinger)

Ich lernte BMWs Reihenzweizylinder als Gleichläufer kennen: Die Kolben bewegen sich gleichzeitig auf und ab, werden abwechselnd gezündet. Dieser Zündabstand von 360° sorgt für ein gleichmäßiges Brummen, das Boxerfans meistens mögen. Axel mochte es. Ich fand es so lala. Mich störte das Scheppern und Schnarren aus der großen Airbox unter der Tankattrappe (der Tank war bei der Vorgängerin im Heck untergebracht). Die neue F 900 R geht den sehr traditionellen Weg eines Tanks, wo ihn alle haben. Sie zündet zudem in einer Abfolge, die einem 90°-V-Zweizylinder entspricht. Zusammen mit der Hubraumerhöhung lässt sie sich damit sehr schön auf Drehmoment fahren, kein Schnarren, kein Scheppern. Mir taugt es besser, Boxerfreund Axel findet die neue Zündfolge akustisch "belanglos". Beim Drehmomentverlauf wünschte er sich zudem noch mehr Dampf aus dem Drehzahlkeller. Boxerfahrer halt.

Am Motor sitzt ein unauffällig sauber funktionierendes Sechsgang-Schaltgetriebe. Wie bei vielen Modellen bietet BMW auch hier den "Schaltassistenten Pro" an (360 Euro). Er entlastet das Getriebe zum Hochschaltvorgang durch kurzes Beimachen der Drosselklappen, beim Herunterschalten durch einen kurzen Zwischengasstoß. Der nächste gewünschte Gang flutscht also hoch wie runter auch ohne Kupplung hinein. Das funktioniert gut, wenn mir persönlich die Bedienkraft auch zu hoch liegt. Das mag eine absichtliche Entscheidung sein, es könnte aber auch am verwendeten Piezo-Element liegen: Die zylindrische Sensor-Einheit sitzt auf der Schaltstange des Motorrads (eine häufige Bauweise) und wird von der Schaltbewegung komprimiert. Das erzeugt den Impuls an die Motorsteuerung. Ein Sensor mit hoher Bedienkraft erhöht also auch die Bedienkraft der Schaltung, weil der Schaltautomat das Getriebe übe das Gaswegnehmen ja erst entlastet, wenn er das Signal vom Sensor erhält.

Über Landstraßen und etwas Autobahnanteil pendelte sich der Verbrauch mit Axel als hauptsächlichem Fahrer bei 5,5 bis 6,0 Litern auf 100 km ein. Axel ist mit knapp 2 Metern Länge recht groß, andere Fahrer berichten von um die 5 Liter Verbrauch. Dennoch sind die Zeiten des sehr mager abgestimmten Rotax-Gleichläufers vorbei. Dessen Praxissparsamkeit erreicht die 900er wohl nicht, auch aufgrund ihrer kürzeren Gesamtübersetzung. Auf Tour fällt das dann schon auf, denn der Tank fasst nur 13 Liter; 3,5 davon sind Reserve. Die Tankwarnung wird also bei vielen Fahrern ein gutes Stück vor 200 km aufleuchten. Der Alpenfahrer wünscht sich mehr. Der Niemandslandfahrer braucht mehr.

Stärke aller BMW-Motorräder: Ausstattungsauswahl. Statt alle Optionen herunterzuschreiben (siehe dazu die Aufpreisliste), hier nur die erklärungsbedürftigen Sonderausstattungen. Zuerst einmal die NICHTkaufliste: Das Keyless-System für 230 Euro ist technisch ganz witzig, aber – Hand aufs Herz – am Motorrad weitestgehend nutzenfrei. Sparen Sie sich diese bei Fahrzeugdieben beliebteste Art, sein Fahrzeug eher virtuell zu sichern. Das BMW-eigene Navi ist mittlerweile derart in die Jahre gekommen, dass es mich jedes Mal wundert, dass es überhaupt noch in der Aufpreisliste steht. Altbacken, langsam, schlecht integriert, kurz: nicht kaufen. Es gibt fast ausschließlich Besseres. Der Windschild "Pure" hat eine rein optische Funktion. Vielleicht reduziert er auch minimal den Auftrieb bei über 200 km/h. Den eigentlichen Windschutz übernimmt die große, hoch montierte Tachoeinheit. Zu dieser Einheit und der generellen Infotainment-Bedienung schrieben wir hier ausführlich.