Jahrhundertwerk​: 100 Jahre BMW Motorrad, Teil eins

Die lange, durchgehende Produktionszeit und seine parallel zum gepflegten Konservativismus laufende Innovationskraft machen BMW einzigartig seit 100 Jahren.

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BMW

(Bild: BMW)

Lesezeit: 16 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

1923 erblickte das erste Motorrad mit dem Schriftzug BMW auf dem Tank das Licht der Welt – und bis heute baut BMW Motorräder. Ein seltener Fall in der Welt des Fahrzeugbaus, in der Marken häufig den Besitzer wechselten, fast immer mit Unterbrechungen in der Produktion.

Diese erste BMW hatte einen Vorläufer, die Helios, die mit seitengesteuertem Zweizylinder-Boxer 1920 bei der Bayerischen Flugzeug-Werke AG erschienen war, die zwei Jahre später mit der BMW AG fusionierte. Ihr 494-cm3-Motor war die Kopie des englischen Douglas-Motors von Flugzeugingenieur Max Friz und Werkstattmeister Martin Stolle. Intern hieß er M2B15. In der Helios lag die Kurbelwelle aber noch quer, die beiden Zylinder also parallel zur Fahrtrichtung. Der 6,5 PS starke sogenannte Einbaumotor wurde auch an andere Motorradhersteller wie Victoria, Bison, Corona und Heller geliefert.

Da der Versailler Vertrag von 1919 deutschen Firmen untersagte, Flugmotoren zu bauen, blieb man bei der neugegründeten BMW AG zunächst beim Zweirad. Max Friz konstruierte Ende 1922 in nur fünf Wochen ein Motorrad. Dabei übernahm er für den neuen Motor mit der Bezeichnung M2B33 das Bohrung-Hub-Verhältnis von je 68 mm des ursprünglichen M2B15, baute den Boxer jedoch längs ein, mit den Zylindern quer zur Fahrtrichtung. Die seitlich in den Fahrtwind ragenden Zylinder wurden so besser gekühlt und bekamen gleich viel Luft ab. An diesem Prinzip hat sich bis heute in BMWs R-Baureihe nichts geändert. Die R 32 wurde am 28. September 1923 in Berlin präsentiert. Der 494 cm3 große Motor leistete 8,5 PS und beschleunigte das 122 kg schwere Motorrad auf 95 km/h, damals eine ernste Ansage.

Die liegenden Zylinder bescherten der R 32 einen tiefen Schwerpunkt, was ihre Handlichkeit förderte. Mittels einer Zahnradkaskade wurde die Nockenwelle angetrieben, die wiederum die darüberliegende Zündung antrieb. Für eine kompakte Bauweise war das Dreiganggetriebe direkt angeflanscht, zudem konnte dadurch das Schwungrad mit der Trockenkupplung kombiniert werden. Ein Kardanantrieb reduzierte den Wartungsaufwand und ermöglichte eine lange Haltbarkeit. Also alles genau wie im Auto, während im Motorradbau eine quer laufende Anordnung von Kurbel- und Getriebwelle mit Primärkette zur Kraftübertragung und einer Sekundärkette vom Getriebeausgang zum Hinterrad üblich war.

100 Jahre BMW Motorrad 1 (7 Bilder)

Mit der R 32 begann 1923 die Erfolgsgeschichte von BMW. Max Fritz entwarf die Konstruktionszeichnung des Motorrads mit Boxermotor und Kardanantrieb in nur fünf Wochen. Dem Bauprinzip blieb BMW bei den R-Modellen bis heute treu.
(Bild: BMW)

Die R 32 hatte einen Doppelschleifenrahmen aus Stahl, besaß einen starre Hinterradführung und vorn eine gezogene Kurzschwinge mit Blattfedern mit einem aufpreispflichtigen Reibungsdämpfer, der in seiner Wirkung eingestellt werden konnte. Das erste BMW-Motorrad überzeugte auf Anhieb mit Komfort und vor allem durch Zuverlässigkeit – zur damaligen Zeit ein sehr überzeugendes Verkaufskriterium. Bis 1926 entstanden 3090 Stück der R 32, mehr wurden es nicht, da ihre Nachfolgerin R 42 bereits 1925 auf den Markt kam.

Schon damals waren sportliche Erfolge die beste Werbung, weil aber die R 32 bei Rennen eher schlecht abschnitt, konstruierte der kurz zuvor eingestellte Rudolf Schleicher einen Aluminium-Zylinderkopf mit im 90-Grad-Winkel hängenden Ventilen. Die Kühlrippen lagen nun quer zur Zylinderachse, was die Kühlung verbesserte. Schleicher taufte die R 32 mit modifiziertem Motor auf R 37 und trat selbst mit zwei weiteren Fahrern erfolgreich bei Rennen an. 1924 gewann die BMW R 37 die Deutsche Meisterschaft in der 500er-Klasse und ein Jahr später wurde sie in limitierter Auflage zum Kauf angeboten. Die R 37 leistete 22 PS, erreichte 115 km/h und war mit 2900 Mark zu dem Zeitpunkt das teuerste deutsche Serienmotorrad. 1926 wagte BMW das erste internationale Rennen und gewann prompt die International Six Days in England, obwohl die R 37 noch nicht einmal Geländereifen aufgezogen hatte. Der Sieg machte BMW auch außerhalb von Deutschland populär.

So gut die R 32 auch geraten war, BMW brauchte unbedingt ein günstiges Einsteigermotorrad als Volumenmodell, deshalb kam 1925 die R 39 mit einem stehenden 247-cm3-Einzylinder in einem Doppelschleifenrahmen auf den Markt. Der Motor trug den Leichtmetall-Zylinderkopf der R 37 und leistete 6,5 PS. Mit 100 km/h war die R 39 sogar schneller als die R 32. Allerdings unterlag sie höherem Verschleiß und ihr Preis lag zu nah am Zweizylinder-Modell. Deshalb wurde die Produktion der R 39 bereits Ende 1926 eingestellt, da half auch ihr Gewinn der Deutschen Meisterschaft bei den 250er nichts mehr.

Die R 42 basierte ab 1926 auf ihrer Vorgängerin R 32, produzierte aber nun zwölf PS aus dem gleichen Hubraum und hatte serienmäßig Zylinderdeckel und Zylinder mit längs angeordneten Kühlrippen. Geänderte Kolben verhalfen ihr zu mehr Laufruhe. Ihr Doppelschleifenrahmen bekam im Vergleich zur R 32 eine leicht geänderte Führung der vorderen Rohre. Trotz Mehrleistung war sie nicht schneller als ihre Vorgängerin. Dank eines auf 1510 Mark gesenkten Preises, verkaufte sie sich die R 42 gut und fand bis 1928 insgesamt 6502 Käufer.

Auch die R 42 gab es in einer sportlicheren Variante, der R 47. Sie unterschied sich unter anderem durch gusseiserne Zylinder und geänderte Vergaser. Mit 18 PS war sie zwar nicht schneller als die R 37, aber deutlich billiger, was den Verkauf ankurbelte. Deutlich kräftiger war hingegen die 28 PS starke Werks-Rennmaschine. 1928 erschienen gleich vier neue BMW-Modelle, die R 52 mit 486 cm3 und die Sport-Variante R 57 mit 494 cm3. Die eigentliche Sensation war aber die R 62 mit 745 cm3 und Seitenventilen und die R 63 mit 735 cm3 und obenliegenden Ventilen. Die beiden 750er hoben das BMW-Angebot auf ein höheres Niveau und brachten die Jahresproduktion auf rund 5000 Motorräder.

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Doch das genügte BMW noch nicht, sie wollten im Rennsport ganz nach oben. Auf der Suche nach mehr Leistung wurde 1927 in eine R 57 ein vom Motor direkt angetriebener Kompressor eingebaut, der den Boxer auf 55 PS brachte. Ein Jahr später markierte die aufgeladene R 63 mit 75 PS einen neuen Zenit. Das Ergebnis waren vier Deutsche Meisterschaften in Folge bei den 500ern und eine bei den 750ern. Ernst Henne stellte 1929 mit der R 63 einen neuen Weltrekord von 216,75 km/h über eine Meile auf. Dazu benützte er die von Bäumen gesäumte Straße nach Ingolstadt, trug einen stromlinienförmigen Helm und hatte eine Art Heckflosse umgeschnallt. In den folgenden Jahren kam es zu einem Wettbewerb zwischen BMW und englischen Marken, wer das schnellste Motorrad baute.

Die Zeit zeichnete sich durch einen raschen Wechsel der Modelle aus, schon 1929 wurden R 11 und R 16 vorgestellt, die 1930 auf den Markt kamen. Die Motoren stammten zwar aus R 62 bzw. R 63, sie liefen nur mit größeren Vergasern, aber ihr Rahmen war komplett neu. Probleme mit gebrochenen Rahmen der Vorgängerinnen hatten BMW veranlasst, einen Rahmen aus gepresstem Stahlblech zu entwickeln. Er bestand aus zwei Schleifen mit Querverbindungen, trieb jedoch das Gewicht um gut zehn Kilogramm nach oben. Dennoch erwies sich die R 16 als überraschend erfolgreich im Rennsport. Beide Modelle trugen zum ersten Mal bei BMW ihren Tank nicht mehr unter dem oberen Rahmenrohr, sie waren vielmehr zwischen den beiden Schleifen eingelassen, so dass die obere Hälfte herausragte. 1929 begann BMW mit der Produktion von Autos im thüringischen Eisenach. Der 3/15 war eine Weiterentwicklung (oder Raubkopie – je nach Standpunkt) des englischen Dixi 3/15, drei Jahre später kam mit dem AM1 das erste von BMW selbst konstruierte Auto.